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11 10

Die alte Remington

Von Feierabend-Mitglied vorgestern, 14:06


Ich freue mich darüber, dass die Tage endlich wieder länger und heller werden. Es verspricht ein Prachttag zu werden. Milde Luft und das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Na ja, fast alles.
Seit mich Freunde animiert haben, ein Buch über mein Leben zu schreiben, bin ich hin und hergerissen. Lust und Euphorie wechseln zwischen Nägelkauen und verzweifelten Wutausbrüchen. Meine ersten Schreibübungen wurden zum Desaster.
Ich wollte traditionell sein und reaktivierte das einzige Erbstück meines Vaters – die alte Remington Standard. Ich dachte, dass diese alte Schreibmaschine hervorragend zum Ambiente meiner Dichterklause passt. Ich war überzeugt davon, dass die verborgensten Erinnerungen aus diesem historischen Gerät wie von selbst fließen würden. Schon als Kind hatte ich auf dieser Maschine meine ersten Buchstaben aufs Papier gehämmert.
Doch die gute Remington hatte ihre Tücken. Mühsam entriss ich dem Walzenungetüm jede misslungene Seite – auch wenn sie die nicht hergeben wollte – und zerknüllte sie kraftvoll. Dabei wendete ich wenigstens so viel Energie auf, wie nötig war, um die Seite zu schreiben! Anstrengung und Entspannung folgten dicht aufeinander.
Die Schreibarbeit artete in Schinderei aus. Papier wurde Mangelware, der Papierkorb voll, das Farbband leer. Gibt es überhaupt noch Farbbänder zu kaufen? Nach Tagen intensivster Beschäftigung mit der Remington und ihren Bosheiten, musste ich einsehen, dass diese herabwürdigende Art des Schreibens einem aufstrebenden Talent nicht zuträglich ist. Der Flow war im Eimer. Ich resignierte, packte den mechanischen Koloss auf einen Ehrenplatz in der Bibliothek und machte erstmal einen Tag schöpferische Pause.

Draußen regnet’s, im Kachelofen knistert’s. Ich sitze gemütlich im alten Ohrensessel vor dem Schreibtisch und schaue meinem Dackel zu, wie er sich dreimal auf seinem Platz herumdreht, bis er sich niederlegt, die Schnauze zwischen meine Füße in den Filzpantoffeln steckt und einen tiefen Seufzer ausstößt. Charlie spürt, dass ich zufrieden bin.

Mit den Fingern streiche ich noch einmal über die Remington, dann klappe ich den Deckel meines Notebooks auf und beginne zu schreiben.
Ein Buch schreiben – wie das klingt. Ich frage mich ernsthaft, ob ich ausreichend Fantasie besitze. Leichte Zweifel kommen auf. Klingt es nicht erbärmlich selbstverliebt, ohne Schamgefühl über sein eigenes Leben zu schreiben?
„Na, wenn schon”, sage ich und spreche mir selbst Mut zu. Ich entschließe mich, alles aufzuschreiben, getreu dem Slogan: Life is a story.

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