DIE EINLADUNG
Von Feierabend-Mitglied Donnerstag 16.01.2025, 07:36
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Post für Dich mein Schatz, richtige Post, ein edler Brief“, rufe ich meiner Frau durch die halbgeöffnete Küchentür zu. Ich bin ziemlich außer Atem. Das tägliche Briefkastenleeren ist Teil unserer Fifty-fifty-Vereinbarung für Haushaltsjobs, es ist ziemlich anstrengend und auch schweißtreibend, denn ich habe mir zum Ziel gesetzt, für die sechs Stockwerke keinen Aufzug zu benutzen. Ich bewältige einhundert Stufen in sportlichen zweieinhalb Minuten. Und das alles nach meinem morgendlichen Nachdenkspaziergang.
„Was? Post für mich? Von wem?“, fragt mich Regina zwischen zischenden Dampfgeräuschen und metallischen Klappern von hastig zur Seite geschobenen Töpfen. Sie ist wieder einmal voll in ihrem Element. Mich zu bekochen ist ihre große Leidenschaft. Beim Ausziehen meiner Schuhe manifestiert sich ihre Kochkunst in einer Art Slow Motion Aktion. In gebückter Haltung, den Hintern an der Wand, des Gleichgewichts wegen, mit einer Hand die Laufschuhe von den Füßen zerrend, versuche ich den Absender des Briefes zu entziffern.
„Ein Brief von unserer Bank“, presse ich schnaufend aus mir heraus.
„Mach ihn bitte auf und lies vor. Ich kann nicht, ich habe fettige Hände.“
Der Brief fühlt sich edel an. Ich öffne den Umschlag und ziehe einen gutgemachten Folder aus dem Kuvert und lese vor:
„Der Vorstand der Bank lädt sie herzlich zum Literatur-Talk im Donau-Forum in Linz ein. Der Wiener Schriftsteller und Bestseller-Autor Daniel Glattauer liest aus seinem neuen Buch. Das Rahmenprogramm sieht eine Signierrunde mit dem Autor vor. Selbstverständlich steht ein Büchertisch mit allen Werken des Schriftstellers zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihr Kommen.“
„Und der Brief ist an mich gerichtet?“
„Ja, an dich. Nur an Dich.“
„Und du? Hast du keine Einladung bekommen?“
Ich krame den Wust an Werbeprospekten, Gratiszeitungen und sonstigen Briefkastenfüllern durch.
„Nein, da ist nichts.“
Ich verkneife meine Enttäuschung und sage nicht, was ich denke. Nämlich: dass meiner Meinung nach der Bank ein grober Fehler unterlaufen ist, denn eigentlich kann ja nur ich als Interessent für kulturelle Veranstaltungen gemeint sein.
Ich gebe zu, dass die Bank nicht wirklich wissen kann, dass ich schriftstellerische Ambitionen habe. Aber warum dann Regina? Ich bin doch der Literat in diesem Haus. Regina liest zwar meine Texte, korrigiert allenthalben meine literarischen Ergüsse, aber sie ist keine Schreibende.
„Ist doch egal, Ferdinand. Du weißt, ich gehe gerne auf deine Lesungen, andere interessieren mich nicht so sehr. Du gehst als meine Vertretung zu dieser Veranstaltung. Einverstanden?“
Was soll ich da antworten? Sie ist so angenehm pragmatisch, meine Gute. Ich merke wie meine Frustkurve abklingt und fange an, mich für den Abend einzustimmen.
Als Erstes hole ich mir Glattauers Bestseller 'Gut gegen Nordwind' aus dem Regal und blättere ein bisschen darin. „Leichte Kost, Trivialliteratur“, würden meine Kollegen und insbesondere die vortragenden Professoren der Literatur-Akademie lästern. Das ist mir egal, ich mag sie trotzdem, die Glattauers dieser Welt. Ich wäre froh, könnte ich so schreiben wie diese Autoren.
Donau-Forum, wo ist das? Linz ist nicht meine Stadt, ich fühle mich fremd hier. Erinnerungen an längst vergangene Zeiten kommen hoch. Damals hatte ich hier Arbeit gesucht und war kläglich gescheitert. Es war Winter und eisig kalt. Der Sachbearbeiter am Arbeitsamt hatte mich mit der Begründung, ich sei für eine schnelle Aushilfe nicht geeignet, abgewiesen. Überqualifiziert, diese Bezeichnung kann auch weh tun. Ich war weiterhin arbeitslos und zog in Richtung Innenstadt. An der Unteren Donaulände setzte ich mich auf eine Bank, teilte mit den frechen Möwen ein Stück Brot und dachte an ein besseres Leben.
Jetzt, in diesem erträumten Leben, stehe ich an gleicher Stelle, nur einen Steinwurf von dieser Bank entfernt. Nur der Blick zum Pöstlingberg ist der gleiche. Kahle Laubbäume spiegeln sich in den Glasfassaden der Linzer Kulturmeile. Die Möwen sind auch da, sie kommen immer im Winter.
Es ist noch eine Stunde Zeit bis zur Lesung, einige Besucher stehen mit mir am chromblitzenden Aschenbecher vor dem Glas-Marmor-Bankpalast. Der Eingangsbereich ähnelt einer Aula, kleine Gruppen diskutierender Literaturliebhaber stehen vereinzelt vor dem Übergang ins Foyer des Auditoriums. Eine dauerlächelnde Hostess scannt meine Einladungskarte und mir wird in diesem Moment klar, dass diese Lesung nichts mit jenen zu tun hat, die ich in der Vergangenheit besucht habe. Das hier ist keine heimelige Bibliothek mit Sesselkreisen um den Autor, kein intimes Zusammenrücken zwischen Literaturfreunden. Meine Hoffnung, irgendwen zu treffen den ich kenne, ist vergeblich. Ich schlängle mich durch weiß drapierte Stehtische an denen hunderte Menschen sich mit Sektflöten und Weinschwenkern dem Smalltalk hingeben.
„Ein Glas Sekt für den Herrn?“, lispelt mir eine junge Auszubildende zu. „Haben Sie etwas Alkoholfreies – ein Wasser vielleicht?“, frage ich freundlich. Vermutlich wurde sie für diesen Job von anderswo abkommandiert, denke ich, sie wirkt fast ein wenig ängstlich, überfordert. Zwischen Ponyfransen glitzern kleine Schweißperlen hervor. Das machte sie unfreiwillig zu einer Seelenverwandten, denn mir geht es auch nicht viel besser. Inmitten so vieler honoriger Gäste, fühle ich mich einsam. Ich beginne zu schwitzen, aber das bemerkt wahrscheinlich niemand.
„Ich hole Ihnen ein Wasser“, sagte sie und suchte nach einer Möglichkeit, die vollen Sektgläser irgendwo abzustellen.
„Das ist aber nett von Ihnen. Geben Sie mir das Tablett, ich halte das solange für Sie“, sage ich im väterlichen Ton.
Die Wartezeit auf mein Getränk wird durch ein fröhliches, älteres Ehepaar abgekürzt, sie halten mich für den Sekt-Servierer und räumen kurzerhand den gesamten Vorrat an Trinkbarem ab. Auch gut, jetzt habe ich wenigstens die Hände wieder frei.
Janette, der Name steht auf ihrem Namenschild, ist mit meinem Getränk zurück, bedankt sich überschwänglich und wünscht mir einen angenehmen Abend.
Es sind zu viele Leute, denke ich und gebe es auf, nach bekannten Gesichtern zu suchen. Ich schlendere weiter in Richtung Saal und Bühne. Mein erster Eindruck ist: Gigantisch. Ich bin einer der Ersten hier im Auditorium. Die ersten zehn Sesselreihen sind alle reserviert. Auch für mich? Immerhin steht auf der Einladung, dass für mich, respektive für Regina, ein Platz reserviert ist. Ich will mich nicht auf irgendwelche Diskussionen einlassen und steuere die hinteren Reihen an. Die Sicht auf die Bühne ist gut, außerdem ist das nicht wichtig, denn die Videowall ist so riesig, dass man auch hinten im Raum bestens sehen und hören kann. Vereinzelt sitzen ein paar Sektverweigerer verloren in einem Meer von Sesselreihen.
Vorne die Bühne. Der kleine Lesetisch, gerademal groß genug für das Manuskript des Autors und dem unverzichtbaren Glas Wasser bildet mit dem spartanisch anmutenden Sessel eine einsame Symbiose.
Nur gedämpftes Gemurmel der Aperitifschlürfer dringt in den Saal. Ich sitze bequem, erste Reihe fußfrei, im mittleren Besucherblock. Wer früher kommt, hat die Auswahl, wenigstens für heute stimmt das. Meine Gedanken kreisen, der Programmfolder dient meinen Händen als Beschäftigung für die rauchfreie Zeit. Es herrscht im gesamten Gebäude Rauchverbot. Es mehren sich die Argumente, endlich mit dem Rauchen aufzuhören. Meine Alkoholsucht habe ich erfolgreich bekämpft, mit dem Nikotin bin ich noch nicht so weit. Vermutlich, weil das Rauchen keine sozialen Probleme bereitet. Oder doch? Mittlerweile werden Raucher immer öfter ausgegrenzt, vor die Tür verbannt, abgesondert.
Von der riesigen Video-Wall blickt das Gesicht Daniel Glattauers direkt in die Sesselreihen. Ich und wahrscheinlich jeder hier im Raum muss den Eindruck gewinnen, dass er ihm und ihr direkt in die Augen schaut. Gut gemacht. Die Marketing-Abteilung seines Verlags hat gute Arbeit geleistet. Neben dem Bild des Schriftstellers stehen die Slogans: Bestsellerautor, Millionen verkaufte Bücher – Trotz Superlative nicht abgehoben – ein Mensch wie du und ich – geerdet.
Ich ertappe mich beim Fantasieren. Stelle mir heimlich die Frage: Was wäre wenn? Wenn mein Konterfei von da oben herunterlächeln würde, mein Buch präsentiert, ich vom Moderator und vom Publikum mit erwartungsfrohem Applaus begrüßt werden würde. Mich die Menschen bedrängen würden, ihnen zu erzählen, wie ich das alles geschafft habe.
Ich träume weiter: Wie wäre es, wenn mein Wort mehr Gewicht kriegen würde, ich mir gescheite Sätze einfallen lassen müsste, um meinen Erfolg zu rechtfertigen. Ich glaube, Erfolg kann besoffen machen – glücklich besoffen oder poetisch gesagt: Trunken vor Glück. Das wäre der einzige Rausch, den ich mir noch zugestehen würde. Ja, ich würde was tun. Mein Anliegen sind die Leute vom Rand. Es gibt zu wenig Stimmen die gehört werden. Das zu ändern ist eine Aufgabe.
Ich habe nicht bemerkt, wie sich der Saal füllt, das Licht gedämmt wird und der Moderator mit dem Veranstalter das Podium betritt. Erst der Applaus, der die Luft vibrieren lässt, bringt mich zurück in die Wirklichkeit.
Daniel Glattauer wird vom Direktor des Hauses angesagt und betritt die Bühne. Applaus! Kein Gejohle und Gepfeife, nur respektvoller Applaus. Er begrüßt fast ein bisschen verlegen das Publikum und stellt seine Geschichte vor. Humorvoll erklärt den Leuten, wie es dazu kam.
Ich bewundere diese zweite große Kunst Glattauers - das Lesen und Interpretieren seines Werkes, wie er den Wörterteppich aufzurollen versteht und die Zuhörer mit auf die Reise nimmt, in eine Welt, die das Fiktive greifbar macht.
Ich stelle mich nicht in die endlose Schlange, um das Buch vom Autor signieren zu lassen. Still und leise gehe ich am Büchertisch vorbei aus dem Auditorium. Ich will nach Hause an meinen Schreibtisch. Ich muss meinen Traum zu Ende bringen.
„Hallo Ferdinand“, ruft mir eine bekannte Stimme hinterher, „wo rennst denn hin?“
„Servus John, du hier?“
„Was heißt das, du hier? Ich bin Buchhändler, schon vergessen?“
„Ja und?“
„Nix, ja und. Ich mache den Büchertisch hier. Und ich habe dich und Regina eingeladen.“
„Du warst das? Ich denke die Bank hat eingeladen.“
„Papperlapapp! Die Bank ist der Sponsor. Ich bin der Veranstalter.“
„Gratuliere, die Hütte war voll“, sage ich und will gehen.
„Ferdinand! Jetzt warte doch. Wir machen dreißig Minuten „Signierstunde“, danach setzen wir uns mit Glattauer in der Bar zusammen. Auch deswegen habe ich dich eingeladen, du alter Buchstabenfuchser!“
Wow, denke ich, das ist der Hammer. Ich und der Bestsellerautor. Mir wird heiß. Manchmal ist Schwitzen doch schön.