Die "Kummerl”
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Feierabend-Mitglied
15.12.2024, 11:36
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Es regnete und regnete …
Dabei hatte der Mann im Radio Schneefall vorausgesagt. Aber statt leise rieselnder Schneeflocken klatschten schwere Regentropfen auf das Blechdach vor unserem Fenster.
Draußen war es noch dunkel, als meine fünf Jahre ältere Schwester Maria und ich das Haus in Richtung Pfarramt verließen. Es war der Tag der Generalprobe für das Krippenspiel der katholischen Jugend im Advent.
Wir legten die nassen Kleider ab und warteten auf die Anprobe mit den Originalkostümen. Unsere Freude erhielt gleich zu Beginn einen argen Dämpfer, als der Katechet der Gruppe mitteilte: „Ihr habt alle ganz wunderbar eure Texte gelernt. Trotzdem haben wir ein Problem. Die Heilige Familie an der Krippe, die Engel und die Hüterbuben sind doppelt besetzt. Bitte versteht, dass nicht alle mitmachen können.“
Maria war allein wegen ihres Namens überzeugt, die ideale „Heilige Maria“ zu sein. Es kam anders. Ich war acht Jahre alt und wusste seit kurzem, dass es kein Christkind gibt. Das schmerzte zwar, aber ich schluckte die Enttäuschung mannhaft hinunter und hoffte als kleinen Ersatz auf weiße Weihnachten und meine Rolle als „Hiatabua“ im Krippenspiel. Es wurde nichts daraus. Die Begründung des Katecheten hörten wir nur mit halbem Ohr, die Enttäuschung war zu groß und wir verließen fast fluchtartig das Heim der KJ – der katholischen Jungschar.
Maria wischte mit dem Ärmel ihre Tränen ab.
„Was machen wir jetzt, gehen wir nach Hause?“, fragte ich. Maria stampfte in den Boden: „Sicher nicht, ich bin wütend und will auf keinen Fall getröstet werden. Wir gehen zu meiner Freundin Gretl, die ist auch bei der KJ und hat mich eingeladen zu ihr ins Klubheim zu kommen. Sie basteln dort Weihnachtssterne und backen Kekse für die Weihnachtsfeier.“
„Die ist bei der KJ? Ich verstehe nicht.“
„Ist egal, Bruderherz. Gretls Eltern sind Kommunisten. Sie haben einen Jugendklub. Die kommunistische Jugend heißt auch KJ! Und jetzt komm, wir gehen da hin – und wehe, du erzählst zu Hause davon. Vater erschlägt uns, er hasst die Kommunisten. Mama ist nicht so streng, sie kennt Gretls Eltern und nennt sie fast liebevoll: „Die Kummerl“.
Gretls Elternhaus war zugleich Parteizentrale, Büro und Klubraum. Hinter der Tür hörten wir Stimmengemurmel und klopften vorsichtig an. Gretls Mutter, eine überaus freundliche Frau, empfing uns herzlich und rief: „Gretl, deine Freunde sind hier!“
An einem großen Tisch saßen etwa zehn Kinder. Es roch nach gebratenen Äpfeln, Nelken und Zimt. Und es war warm. Zur Begrüßung bekamen wir Tee und traumhaftes Kletzenbrot. Gretl lud uns ein zum Basteln. Maria half beim Zimtsternebacken, ich malte kleine rote Sterne mit weißer Farbe an, ohne zu wissen, dass es Sowjetsterne aus der Zeitung „Wahrheit“ waren, der österreichischen Prawda. Für mich zählte nur, dass uns die Leute mochten. Geborgenheit. Ein vorgezogenes Fest der Nächstenliebe. Sogar der Regen hatte aufgehört. Denn es schneite und schneite …