Die Regenbogenleiter (1)
Von
tastifix
Mittwoch 23.07.2025, 20:30 – geändert Mittwoch 23.07.2025, 23:59
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tastifix
Mittwoch 23.07.2025, 20:30 – geändert Mittwoch 23.07.2025, 23:59
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An jenem schicksalhaften Tag lief Silvie am Feld entlang nachhause. Doch trotz des herrlichen Sommerwetters wanderte sie nicht fröhlich einher. Dagegen hielten sie düstere Überlegungen gefangen. Ihr Gesicht glich einer starren Maske. Deutete jemand mit etwas psychologischem Einfühlungsvermögen ihre Mimik, so entdeckte er hinter jener Maske die todunglückliche Seele eines 18-jährigen Mädchens. Eine Seele am Abgrund, die lautlos um Hilfe schrie.
„Warum ich? Helft mir, ich weiß nicht mehr ein noch aus!“
Silvie war heimlich zum Arzt gegangen. Seit einiger Zeif ühlte sie sich nicht gut, wusste es aber nicht zu benennen, weshalb eigentlich. Nun ja, sie sah etwas schlechter als früher, aber dies wäre ja noch kein Grund gewesen, sich selbst ohne sonstige Beschwerden krank zu fühlen und ängstvollen Gedanken nachzuhängen. Doch das Unwohlsein war bestehen geblieben und so hatte Silvie denn doch Panik bekommen.
Das Untersuchungsergebnis stellte sich dramatisch dar: Ein Tumor hinter dem Auge, so ungüsntig gelegen, dass er wegen seiner Größe nicht entfernt werden konnte. Silvie hatte dem Arzt, einem engen Freund ihres Vaters, wie erstarrt gegenüber gesessen. Ihr war zumute gewese, als könne dies alles gar nicht sie betreffen, sondern eine Fremde. die von dann an mit dieser schlimmen Diagnose leben musste. Dr Frank kannte Silvie schon von Kindesbeinen an, empfand großes Mitleid mit ihr und versuchte, dem Schock etwas der Schwere zu nehmen. Das Meiste rauschte an Silvie vorbei, die kaum fähig war, einen kalren Gedanken zu fassen.
„Bitte, informeiren Sie meine Eltern noch nicht hierüber. Ich muss jetzt erstmal mit mir selber klarkommen und habe große Angst davor, wie sie darauf reagieren werden!“
Weil Dr. Frank sehr wohl erkannte, wie es um Sivies Gemütsverfassung stand, versprach er. vorläufig noch zu schweigen. Zwar fühlte sich Silvie selber nicht gut dabei, aber sie hoffte, es noch eine Zeitlang für sich behalten zu können und währenddessen nicht von Allen, die ihr lieb und teuer waren, vor allem den Eltern, als Schwerkranke angesehen zu werden, die mitleidig/besorgten Blicke oder auch übertriebene Rücksichtnahme ertragen zu müssen.
„Und“, versuchte sie sich einzureden, „so erspare ich Mutti und Vati noch eineh etwas diese schlimme Wahrieht!“
Aber sie wusste, dass sie sehr darunter leiden würde, ihnen und den Anderen etwas vorspielen zu müssen. Ja, sie schämte sich dessen. Doch sie nahm all dies in Kauf, um dem Wissen um ihr zukünftiges wahrscheinliches Schicksal noch verdrängen zu können. Nur ein Selbstbetrug würde ihr helfen, Verzweiflung und Resignation nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, sondern sie stattdessen als Reaktionen auf ja doch nur einen Albtraum hin zu werten. Sie hätte fortan das über ihr schwebende Damoklesschwert mit all ihrer psychischen Energie zu ignorieren. Sie war jung. Sie wollte wie alle Anderen ihres Alters die Vorrechte auskosten, eine gewisse Leichtigkeit wie das Recht, Träumereien nachzuhängen, genießen. Wäre sie stark genug, alle Kameraden und sogar sich selber über einen längeren Zeitraum hinweg zu täuschen? Es kostete immens viel Kraft, die geliegten Mitmenschen in „Normalität“ zu wiegen und die eigene Gedankenwelt aufs Strengste zu kontrollieren. Es erwartete sie ein Roboterleben . .
„Für wie lange??“
Starkes Herzklopfen.
„Breche ich eines Tages dann unter dieser seelischen Last zusammen?“
In ihrem Kopf drehte sich ein Mühlrad an Fragen. Fragen, entsprungen der eigenen Panik, ihrer Hilflosigkeit der Situation gegenüber und den sie plagenden Gewissenbisse. Gewissensbisse der Lüge wegen, die sie von diesem Tage an leitete. Wie könnte sie ihrer Mutter noch klar ins Auge sehen, wie mit ihrem Vater, zu dem sie ein besonders inniges Verhältnis verband, unbeschwert lachen?
Bereists seit zwei Stunden gehörte sie zu einer Minderheit. Minderheiten haben manchmal Ablehnung zu ertragen. Bliebe ihr wenigstens dies erspart? Wie käme sie mit diesem anderen Leben klar?“
Zwei Stunden trug sie nun diese sie seelisch niederschmetternde Bürde, die so gar nicht in das Leben einesjungen Menschen passte. Vor 120 Minuten hatte sie die Daignose erfahren. Prof. Jahn ihr eröffnet, dass es absehbar wäre, dass Silvie eines Tages nicht mehr sehen können würde. Aber, wan nes soweit sein könnte, war nicht zu sagen. Falls der Tumor noch weiter wachsen oder gar bösartig entarten würde, könne es in zwei Jahren dazu kommen!
`Ja, Herr Dr, Frank Rank kennt mich ja genau und hat deshalb eingewilligt, Mutter und Vater noch nicht davon zu unterrichten!`...