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Ein Tag im Leben eines Tagelöhners

Von Feierabend-Mitglied heute, 14:25

Morgens, sieben Uhr. Schießstattstraße – Ecke St. Julienstraße.
Ich wartete auf Arbeit. An sich nichts Ungewöhnliches – beim Arbeitsamt. Dennoch war ich kein echter Kunde dieses Amtes – denn ich stand vor dem Haus, am sogenannten Arbeiterstrich.

Schwarzarbeiter und Tagelöhner sind auf schnellen Lohn angewiesen. Ohne Wohnung, ohne Versicherung, manchmal auch ohne Papiere, kann man keine reguläre Arbeit annehmen. Die Zeit bis zur offiziellen Lohnauszahlung wäre zu lang gewesen. Sich zu outen hätte außer Diffamierung nichts gebracht, so die Rechtfertigung vor mir selbst. Ein Rest von Stolz hatte sich erhalten, also lebte ich weiter von der Hand in den Mund und wartete geduldig auf einen vielleicht mehrtägigen Aushilfsjob, der ein finanzielles Polster bedeutet hätte.

Mit der Glut der Zigarette versuchte ich meine Finger zu wärmen. Ein sinnloses Unterfangen. Ich wusste, dass es wenig nützen würde. Dennoch zeigte es vom ungebrochenen Glauben, dass kleine Dinge vielleicht doch etwas bewegen könnten.

Der Tag verlief wie immer. Potenzielle Arbeitgeber, aber auch private Häuslebauer, die nach einer billigen Arbeitskraft Ausschau hielten, fuhren mit ihren Autos an den Fahrbahnrand und suchten sich jemand aus, der ihnen angemessen erschien. Ich hatte gelernt, nicht jeden Job anzunehmen und fragte sicherheitshalber nach, was zu tun sei. Es gab fürchterliche Drecksarbeiten, bei denen man sich die ohnehin einzige Kleidung vollends ruinierte und die außerdem unfallträchtig war. Ohne Versicherungsschutz war das gefährlich.

Mittlerweile wurde es neun Uhr. Die beste Zeit war vorbei, die ohnehin dünne Nachfrage dieses Tages riss langsam ab. Die Sonne stieg am Horizont hoch, der feuchte Asphalt dampfte. Die Zigaretten wurden knapp, mein Alkoholikerhirn meldete: Durst. Hätte ich einen Job, wäre jetzt Jausenzeit.

Mir fiel ein Mann auf, der nicht hierher gehörte, jedenfalls hatte ich ihn noch nie gesehen. Er sah auch nicht aus wie einer von uns. Jetzt kam er auf mich zu. Er bot mir eine Zigarette an und fragte: „Warum hast du vorher den Job des Baumeisters nicht angenommen, der hat doch einen guten Preis genannt?” Ich taxierte den Fremden von der Seite und antwortete: „Weil ich ihn kenne. Er stellt keine Arbeitskleidung zur Verfügung. Ich zerreiß mir für ein paar Kröten nicht meine letzten Schuhe.”
„Verstehe. Gehst mit auf ein Bier?”
„Ist das eine Einladung?”
„So ist es. Du gefällst mir.”
„Also, wenn du schwul bist, muss ich dich enttäuschen”, grinste ich.
„Keine Angst, mein Freund, mir gefällt nur deine Art. Ich bin übrigens der Franz.” Ich musterte ihn von der Seite und sagte. „Okay, Franz, gehen wir.”

Bei Bier und Leberkäs am Kiosk wurde er gesprächig. Franz besaß einen kleinen Strickwarenvertrieb und suchte einen Haus-Handwerker, der ihm beim Umbau seines Lagers helfen sollte. Eigentlich wollte er ganz förmlich seine Suche beim Arbeitsamt melden, doch dann wurde er auf mich aufmerksam.
„Okay, Franz, ich bin dein Mann”, sagte ich. „Hausmeister wollte ich immer schon sein!”



@text & photo by ferdinand

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