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Farewell

Von Feierabend-Mitglied heute, 07:49


Farewell

Gerade in dem Moment, als ich an das Eröffnen des Buffets denke, bricht ein Trommelgewitter mit Tusch über mich herein. Ich erschrecke, möchte dem Schlagzeuger meine Meinung sagen. Mein Lachen ist gequält, als mir Bruno das Mikrofon aus der Hand nimmt und sagt: „Ferdinand, gönne dir eine Pause und genieße dein Abschiedsgeschenk, deine Mitarbeiter haben es für dich einstudiert.”

Jetzt wird mir klar, warum die Leute verschwunden waren. Sie haben sich hinter mir versammelt und in Position gebracht. Die Band beginnt zu spielen. Fast die komplette Belegschaft swingt und rockt, als hätten sie nie etwas anderes getan. Bruno plärrt mir ins Ohr: „Sie haben tagelang mit der Band geprobt für diesen Auftritt!”

Viele meiner Lieblingssongs wurden in einem Medley vereint und mit eigenen Texten aufgemöbelt. Die Melodien sind mir bekannt, der Text ist neu – Farewell and goodbye – haben sie es genannt. Die Überraschung ist perfekt, ich habe Gänsehaut und spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen.

Tosender Applaus.

Ich bringe kein Wort heraus. Nur: Danke.

Ich möchte eine Zigarette rauchen, ein paar Minuten allein sein und gehe vor die Tür. Ich schaue dem Rauch nach, der sich im Abendhimmel über Sankt Peter verliert. Zufrieden mit mir selbst kehre ich in den Festsaal zurück. Das Buffet ist eröffnet. Mir ist nicht nach Essen zumute. Unzählige Menschen klopfen mir auf die Schulter. Rechtsanwalt Ortgrubers Mutter Adele winkt mir zu. Ich gehe hin, sie fragt, ob ich mich zu ihr setzen möchte. „Mein Sohn treibt sich sonst wo herum”, beschwert sie sich.
„Gern, Frau Ortgruber”, sage ich, froh, dass ich einen ruhigen Platz gefunden habe.
Sie schaut mich verschmitzt an und sagt: „Nennen Sie mich einfach Lisa – so wie früher.” Ich bekomme eine Ahnung, wer sie sein könnte, bin mir aber nicht sicher. Ich frage: „Wie meinen Sie das? Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.”
„Hören Sie zu Ferdinand – ich darf doch Ferdinand sagen?”
„Aber ja. Nur – bitte helfen Sie mir auf die Sprünge.”
„Sie liegen richtig, wenn Sie meinen, dass wir uns nicht kennen – und doch nicht – wir haben oft miteinander telefoniert. Es ist lange her, ich schätze dreißig Jahre”, sagt sie und kramt verlegen in ihrer Handtasche. Ihre Stimme kommt mir bekannt vor. Zaghaft frage ich: „Telefonseelsorge?”
Sie senkt ihre Augen, seufzt tief und schaut mich an: „Vielleicht mache ich jetzt alles falsch, bitte verzeihen Sie mir die Indiskretion, ich kann nicht anders, ich bin so stolz auf Sie, Ferdinand. Und ja, ich war damals Leiterin der Telefonseelsorge-Salzburg.”

Jetzt funkt es bei mir endgültig: „Mein Gott, Sie sind die Lisa, die immer Nachtdienst machte und mit der ich manchmal stundenlang telefoniert habe?”
„Ja, Ferdinand, ich bin diese Unbekannte mit dem Decknamen Lisa. Sie waren unser ganzer Stolz, Ferdinand, wir nannten Sie insgeheim unser Paradepferd, weil es so verdammt selten vorkommt, dass ein hoffnungslos Verlorener den Weg zurückfindet.”

Später, als ich auf dem Heimweg zu meinem Haus mit dem alten Pick-up über den Feldweg holpere, kommen die Gedanken des Tages zurück. Ein Buch schreiben – wie das klingt. Mir fällt die Bemerkung von Bruno ein, von wegen Eitelkeit und so. Ich frage mich ernsthaft, ob ich ausreichend Fantasie besitze. Leichte Zweifel kommen auf. Klingt es nicht selbstverliebt, ohne Schamgefühl sein Innerstes nach außen zu kehren?
„Na, wenn schon”, sage ich und spreche mir selbst Mut zu. Ich entschließe mich, alles aufzuschreiben. Es soll kein Epos werden, denke ich, sondern eine lockere Erzählung.
Ich fange wieder einmal von vorne an, wie schon oft in meinem Leben. Ein Rückblick, denke ich und stelle fest, dass ich Hilfe brauchen werde. Hat mir nicht Bruno ein Angebot wegen des Schreibens gemacht, oder war das nur so daher gesagt?

Gleich bin ich da, ich sehe es schon. Mein Häuschen. Baujahr 1906, Jugendstil. Die ortsübliche Bezeichnung 'Schlössl' ist übertrieben, es ist nicht wesentlich größer als ein normales Haus. Genau genommen ist es ein Sanierungsfall. Einer, den ich entschlossen anpacken werde. Aufbauen – Bewahren – Instandhaltung. Das sind meine Metiers.

Wochen sind vergangen. Da sitzen wir nun, Charly, mein Rauhaardackel und ich. Vieles im Haus ist noch provisorisch, aber das stört uns nicht. Mit der großen Renovierung, vor allem im Außenbereich, werde ich mich im Frühjahr befassen. Meistens halten wir uns ohnehin im holzgetäfelten Erkerzimmer oder in der Bibliothek auf. Die Bücherregale reichen bis zur Decke und strahlen dieses besondere Flair aus, von dem ich mein Leben lang geträumt habe. Störend ist nur die leere Stuckrosette in der Deckenmitte der Bibliothek, hier fehlt die richtige Beleuchtung. Zum Interieur passend, soll es ein Kristallluster sein. Ich habe dieses sündteure Stück und zwei Klubsessel, die gut mit dem kleinen Schachtisch harmonieren, bestellt.
Bis zum nächsten Besuch von Bruno Dangl wird alles fertig und gemütlich sein. Ich habe vor, ihm die ersten Texte meines Werkes vorzulesen. Schreiben muss ich sie halt noch. Ich bin schon gespannt auf sein Gesicht, wenn er Geschichten zu hören und lesen bekommt, von denen er keine Ahnung hat, denn ich beginne mit meinen frühesten Erinnerungen. Alles Glück und Übel prägt die Kindheit, habe ich irgendwo gelesen.

Ich genieße den Geruch vom Kirschholz im Erkerzimmer. Ein besonderes Odeur entsteht, wenn sich der Duft von Büchern mit dem des Eichenparketts der Bibliothek vermischt. Im Jugendstil-Kachelofen knistert es. Ich sitze im Ohrensessel vor dem Schreibtisch und schaue Charly zu, wie er sich dreimal auf seinem Platz herumdreht, bis er sich niederlegt, die Schnauze zwischen meine Füße in den Filzpantoffeln steckt und einen tiefen Seufzer ausstößt. Er spürt, dass ich zufrieden bin.

In der stillen Auflösung des Tages klappe ich den Laptop auf und beginne zu schreiben. Für die erste Zeile – es ist der Titel – brauche ich eine Stunde.

UNSTET – Ein Leben


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©text & photo by ferdinand

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