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Großvaters Werkstatt

Von Feierabend-Mitglied Mittwoch 04.12.2024, 12:26

Mein heutiges Recherche-Ziel ist das Weitental am Stadtrand meiner Heimatstadt. Da, wo früher meine Skiwiese war, steht jetzt ein Jugendgästehaus. Unwillkürlich erfasst mich Wehmut, aber meine innere Stimme besänftigt mich, lässt meinen Protest verstummen. Ich wandle auf Kindheitsspuren. Jeder Schritt lässt ahnen, was mich zu dem Menschen machte, der ich heute bin – ein neugieriges, wissbegieriges und bis in die Tiefen der Seele forschendes Kind der Natur.

Das Weitental führt in den städtischen Forst zur "Kalten Quelle“ und weiter hinauf zum Hochanger. Aber so weit will ich heute nicht, dafür sind die Tage im Advent zu kurz. Mein Augenmerk gilt den steil aufragenden Hängen, dem Nadelwald und den alten, fast verloren wirkenden Holzhäusern am Hang. Ich ziehe meine Kapuze tiefer in die Stirn und wandere ins Tal hinein. Vor mir taucht das städtische Forsthaus auf, hier hat seinerzeit mein Freund Karl gewohnt. Im Nebengebäude befand sich die Drechslerei meines Großvaters. Ich muss schmunzeln, denn mir fällt der Meister Eder mit dem Pumuckl ein – genau so sah die Werkstatt damals auch aus. Ach, was habe ich seine handwerkliche Geschicklichkeit bewundert. Für mich war er ein Künstler, der meine Seele verzauberte.

Und da ist es wieder! Ich höre das Summen und Surren der Drehbank, sehe die Werkstatt vor mir, in der es so wunderbar nach Holz und Leim roch. Ich spüre die Wärme, die der Sägespäne-Ofen verbreitete. Mir steigt der beißende Geruch von erhitzten Leimperlen in die Nase. Auf einem verstaubten Regal stapeln sich große und kleine Holzteller, auf der Hobelbank liegen gedrechselte Tischfüße. Das Glanzstück ist aber die verglaste Vitrine, in ihr waren meine Lieblinge aufgereiht. Kasperl- und Puppenköpfe nebst Schachfiguren von höchster Präzision. Ich sehe den Großvater an der Drehbank, mit beiden Händen führt er die Schruppröhre, um dem sich um die eigene Achse drehenden Holzstück die gewünschte Form zu geben. Typisch für Großvater war seine rote Pudelmütze immer vollgespickt mit geringelten Holzspänen.
Er war streng mit uns, besonders dann, wenn er in seine Arbeit vertieft war. Verhielten wir uns ruhig, bis er sein Werkstück fertig hatte, bekamen wir als Belohnung einen Schluck Tee aus der Thermoskanne. Ich habe den Werkstattgeruch nie vergessen. Am intensivsten roch der Slibowitz in Großvaters Tee. Dieses Aroma lag wie eine Wolke über der Werkbank.

Ich trete näher an das Haus heran, das heute kein Försterhaus mehr ist, sondern ein Museum für das Holzhandwerk. Eine gute Sache, aber es fehlt das Leben, das Gesurre der Maschinen und natürlich das Aroma vom Großvater-Tee. Ich glaube trotzdem, dass mir diese Exkursion in vergangene Zeiten geholfen hat. Roman ist es keiner geworden, aber für eine kleine Adventsgeschichte müsste es reichen, denke ich.
Auf leisen Sohlen verlasse ich das längst Verwehte und begebe mich Schritt für Schritt zurück ins Heute.

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