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Jahrewechsel 1960 - 1961

Von Feierabend-Mitglied Dienstag 31.12.2024, 12:28

Es war unser erster Jahreswechsel nach der Scheidung meiner Eltern. Wir hatten eine eigene Wohnung mit unserer Mutter, 5 Kinder zwischen 11 und 19 Jahren. Das Gefühl von Freiheit, eigenen Entscheidungen und Lebensfreude brach sich Bahn, vor allem durch die beiden älteren Brüder, die inzwischen in einer Wohngemeinschaft lebten. Wir waren von dem cholerischen und gewalttätigem Vater befreit.

So wurde geplant, eine Silvester-Party in unser Wohnung zu organisieren, mit Freunden, Pfannkuchen, und Feierwerkskörpern, unseren finanziellen Mitteln angepasst und jeder sollte etwas mitbringen.
Nur unsere Mutter musste noch überzeugt werden, denn sie war nicht gewohnt, eigene Entscheidungen zu treffen, ihre Ängste und die Erschöpfung waren noch lähmend spürbar.

Aber auch das haben wir mit viel Liebe, Überredungen und Versprechen schließlich geschafft und sie entschied, bei einer Freundin zu übernachten und uns allein feiern zu lassen. Unsere Aufregung und Freude war groß und so waren wir am Silvesterabend 16 junge Menschen. Unsere Mutter übertrug mir, als ältestes Mädchen mit 16 Jahren die Verantwortung, wobei ich nicht überblicken konnte, was das bedeutete.

Wir hatten die Wohnung geschmückt, unsere Gäste trafen fröhlich bei uns ein, am aufgeregtesten war mein 13jähriger Bruder, der sich wie ein Wirbelwind durch das Jungvolk bewegte. Alkohol war bei uns tabu.
So nahm der Abend seinen Lauf, mit spielen und scherzen, vielen Albernheiten, es ging uns gut und wir genossen dieses neue Erleben. Um kurz vor 12 Uhr, wurden die Fenster geöffnet, alle machten sich bereit für die ersten Knallkörper und ich verlor jeden Überblick.

Plötzlich ein lauter Schrei meines kleinen Bruders, eine Stichflamme, die Gardine brannte lichterloh, lähmendes Entsetzen und Günter lag auf dem Boden, schrie und seine Hose brannte und es krachte mehrmals. Es gelang uns, die Flammen an Günters Hose mit einer Decke zu ersticken, die Feuerwehr wurde gerufen und kam sehr schnell und ich fuhr mit ins nahe gelegene Krankenhaus in der Bernauer Straße. Es war 00:40 Uhr, Erstversorgung, Günter war bewusstlos, er hatte Verbrennungen dritten Grades am ganze linken Oberschenkel. Die Ärzte sagten mir, er hat in der Hosentasche ein Band mit 10 Schwärmern gehabt und durch seine spielenden Finger in dieser Tasche hätten sie sich entzündet. Ich war wie gelähmt, funktionierte nur noch mechanisch und bin dann den Weg vom Krankenhaus nach Hause 20 Minuten gelaufen. Das war wie ein Slalomlauf durch Knallkörper, die neben mir krachten und ich nur noch rannte, um unverletzt nach Hause zu gelangen.

Dort saßen meine Brüder, stumm, unter Schock, in einer teilweise verkohlten und nassen Wohnung, alle Anderen waren gegangen. Jetzt erst kam die Realität bei mir richtig an.

Ich war voller Schuldgefühle, zitterte am ganzen Körper, meine kleine Schwester war auf dem Teppich eingeschlafen und ich brachte sie ins Bett. Meine Brüder waren wortlos gegangen und endlich löste sich in mir ein nicht aufhörender Tränenstrom. Ich musste meine Mutter am nächsten Morgen anrufen, damit sie vorbereitet war vor dem Heimkommen. Das lastete wie ein schwerer Stein auf meiner Brust.

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