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Kapitulation

Von Feierabend-Mitglied Samstag 15.03.2025, 08:51 – geändert Samstag 15.03.2025, 10:04

Der Blick in den Spiegel am Morgen beruhigte mich, ich hatte die halbe Nacht an meiner Kleidung gearbeitet. Das Hemd war schnell gewaschen und die Hose legte ich unter die Matratze, um sie zu glätten. Ein Bügeleisen besaß ich nicht, trotzdem sah alles passabel aus. Der Trachtenjanker mit der schwarzen Hose stand mir gut. Ich sah aus wie ein Kellner beim Heurigen.
Ich war zu früh am Treffpunkt vor der Erhard-Kirche und schlenderte vor einer Metzgerei auf und ab. Auf einer Tafel wurde für warmen Leberkäs und frisch gezapftes Bockbier geworben. Mein Dämon forderte Alkohol. Nur jetzt nicht nachgeben, dachte ich. Leberkäs ja. Bockbier nein. Die Entscheidung wurde mir abgenommen. Ein gelbes Cabriolet mit schwarzem Faltdach fuhr langsam auf den Parkplatz. Eine Frau stieg aus dem Auto, ich erkannte Ilse sofort. Sie sah aus wie Nana Mouskouri: Lange schwarze Haare, dunkle Hornbrille, weißes, bodenlanges Kleid. Sie kam auf mich zu. Ich schwitzte. Gezittert hatte ich vorher schon, wegen des fehlenden Alkohols.
„Hey Ferdinand, schön, dass du gekommen bist. Ich bin die Ilse, du weißt schon. Fesch schaust aus, bist' schon lange da?”
Soviel Lebensfreude in einem strahlenden Gesicht. Ich war baff, atmete tief ein. Sie war eine Fee.
„Liebe Ilse, ich bin fasziniert. Ich sollte dir jetzt ein Kompliment machen, aber verzeih, ich bin momentan außer Form. Ohne Alkohol geht bei mir leider gar nichts, da rennt der Schmäh nicht.”
Ilse lächelte: „Schon okay, Ferdinand.”

Wir gingen in ein Café, ich brauchte jetzt dringend etwas zu trinken. Mein Dämon brüllte: Alkohol! Ich nahm einen starken Espresso, ohne den üblichen Schuss Cognac. Das Zittern wurde stärker. Ein zwei Gläser Cognac würde alles viel leichter machen, dachte ich. Ilse bemerkte meinen Blick zu den abgehängten Whiskyflaschen an der Bar und versuchte mich zu beruhigen.

„Vergiss alles, was war. Du darfst nervös sein, vor denen da oben im Amt brauchst du dich nicht zu schämen wegen deines Zitterns, die kennen sich aus. Die meisten deiner Kollegen schauen viel schlimmer aus als du.”
Wir wurden freundlich empfangen. Es folgten die üblichen Fragen:
Waren sie schon einmal bei uns?
Wollen sie wirklich mit dem Trinken aufhören?
Meine Antworten waren kurz: „Nein, hier war ich noch nie, obwohl ich schon zehn Termine hatte. Ich habe es nicht geschafft. Und ja, ich war schon einmal in der Nervenklinik zur körperlichen Entgiftung. Nach acht Tagen wurde ich entlassen und kurz danach habe ich mehr getrunken als je zuvor. Das war vor fünf oder sechs Jahren Jahren. Jetzt möchte ich aufhören können. Ich weiß nur nicht wie. Vielleicht können Sie mir dabei helfen.”

Ilse sprach über Details, vor allem über die eigentliche Therapie, die sich nahtlos an die klinische Entgiftung anschließen sollte. Die Gefahr wäre zu groß, in einer Warteschleife wieder im Milieu zu versacken, meinte sie.
„Heute ist Freitag, da geht nichts mehr”, sagte der Doktor, „aber ab Montag kann ich Ihnen ein freies Bett in der Psychosomatik zusagen.”

Ich war einverstanden – Ilse nicht. Sie wollte die Gunst der Stunde nützen und mich sofort unterbringen. Sie sprach halblaut mit Dr. Jenner, dem Leiter des Sozialmedizinischen Dienstes. Ich verstand nicht alles, nur den leisen Satz: „Es war für ihn schwer genug, heute diesen ersten Schritt zu tun, ersparen Sie ihm bitte, dies ein zweites Mal tun zu müssen.”
Dr. Jenner wiegte den Kopf hin und her: „Ihr könnt es ja probieren, fahrt hin und versucht es vor Ort, ich gebe euch ein Empfehlung mit.”
Ilse war glücklich, ich war gar nichts, ich war leer. Wir gingen zum Auto und fuhren in die Klinik. Ilse war stolz auf mich: „Das war klasse, wie du dich verhalten hast. Du wirst sehen, Ferdinand, alles wird gut.”

In meinem Kopf rumorte es. Ich war nur noch Passagier. Es ging um die sofortige Aufnahme zur Entgiftung in der Psychosomatik. Es macht einen Unterschied, in welcher Abteilung man landet. Eines wusste ich: Akut- und Suizidfälle werden grundsätzlich in der geschlossenen Beobachtungsstation behandelt und das wollte ich nicht. Auf gar keinen Fall lasse ich mich einsperren oder gar an ein Bett fixieren! Das war meine Bedingung, daran hielt ich mich fest. Es ging um meine Würde. Ilse wusste das und bemühte sich nach Kräften, den Oberarzt der Abteilung irgendwo in diesem weitläufigen Areal zu finden.
Ich saß auf einem unscheinbaren Klappsitz vor der Psychosomatik und rauchte eine Zigarette. Ilse hatte mich inständig gebeten durchzuhalten, sie wollte so schnell wie möglich zurück sein.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dagesessen und mit mir selbst gerungen habe. Ich rutschte unruhig hin und her und merkte – mein Dämon ist wieder da. Er wohnt an einem unbekannten Ort in meinem Kopf, war seit langem mein Verführer und stets zur Stelle, wenn ich abtrünnig zu werden drohte und im Begriff war, ihm die Gefolgschaft aufzukündigen. Ich hörte ihn nicht akustisch und doch kamen seine Impulse bei mir an. Ich kannte seine Strategie. Er beschimpfte mich, brüllte mich an:

„Was bist du nur für ein armer Wurm. Du sitzt hier und wartest bis man dich vollends erniedrigt. Lass dich doch nicht von christlichem Weibergewäsch verrückt machen, die Weißkittel bringen dich noch so weit, ihnen zu erzählen, dass du mit mir sprichst. Dann ist aber endgültig Schluss mit Lustig, du landest ganz sicher im Narrenhaus! Also hau ab, solange es noch geht, schau, dass du wieder in Stimmung kommst, ich helfe dir dabei, das haben wir zwei doch noch immer elegant hingekriegt, oder? Sei endlich wieder der Alte. Lass dich nicht unterkriegen. Steh auf, wenn du ein Mann bist!”
Ich stand tatsächlich auf, aber nur, um zu zeigen, dass ich bereit war, zu kämpfen. Nein und nochmal nein, heute gebe ich nicht nach, heute bleibe ich mir treu. Meine Ehre lässt es nicht zu, dass ich Ilse, die an mich glaubt und sich in diesem Moment für mich einsetzt, enttäusche. Nein, das tue ich nicht. Niemals!

Die gläserne Flügeltür ging auf und Ilse stand mit dem Oberarzt vor mir.
„Alles klar, Ferdinand, du kannst bleiben”, sagte sie. Ich hatte ein mulmiges Gefühl und Watte im Hirn. Mir fehlte die Sicherheit, für mich war alles nur Obrigkeit. Ein Sich-fügen-Müssen, die totale Kapitulation. Kein Zurück. Mit zitternder Hand unterschrieb ich irgendein Formular und war formell aufgenommen. Täuschte ich mich oder sah ich Tränen in Ilses Augen? Sie verabschiedete sich schnell und versprach, mich am nächsten Tag zu besuchen und mir Zigaretten mitzubringen.
Nach einer kurzen Untersuchung durch den Oberarzt war die Diagnose klar – chronischer Alkoholismus. Erste Medikation waren Vitamin-B-Infusionen zur Vorbeugung gegen das 'Delirium tremens', den gefürchteten Entzugserscheinungen. Alle anderen Medikamente lehnte ich ab. Mir wurde ein Bett zugewiesen. Ich fühlte mich wie neu geboren in diesem Bett. Strahlend weiße Bettwäsche, sie duftete nach Frische und Reinheit. Wie wenn alles neu wäre. So, dachte ich, muss es im Paradies sein. Die Nacht war die ruhigste seit vielen Jahren.


Fortsetzung folgt in 3.Klinikfrühling
©photo & story by ferdinand

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