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Kurzkrimi 2

Von Feierabend-Mitglied 15.12.2024, 18:48

Der Kommissar war froh gestimmt.
Zuvörderst, weil er sich nach der erfolgreichen Aufklärung des letzten Falles nun KriminalHAUPTkommisar nennen durfte und weil es sich im vorliegenden Fall um einen Bankraub handelte.
Das assoziierte er natürlich mit dem englischen Film „Der große Eisenbahnraub“, bei dem es allerdings nicht, wie der Titel vermuten ließ, um den Raub einer Eisenbahn ging, sondern um den Raub einer riesigen Goldmenge aus einer Eisenbahn.
Er war schon gespannt auf den Delinquenten.
Dieser wartete, bewacht von einem für diese Aufgabe prädestinierten Beamten, also einem Wachtmeister, sicher schon höchst ungeduldig auf den Kriminalhauptkommissar.
Der kam dann auch prompt durch die Türe, setzte sich dem Delinquenten gegenüber an den Resopaltisch und stellte das kleine Aufnahmegerät in die Tischmitte.
„Wollen Sie etwas trinken?“, fragte der Kriminalhauptkommissar, den ich wegen der Zeichenzahl zukünftig nur Kommissar nennen werde.
„Nein. Ich will wissen, weshalb ich hier bin.“, erwiderte der Delinquent.
„Nun,“, sprach der Kommissar, „Sie wurden angezeigt.“
„Von wem?“
„Das darf ich Ihnen aus ermittlungstechnischen Gründen nicht sagen.“
Der Kommissar nahm das Aufnahmegerät hoch, wischte mit der Hand einige nicht vorhandene Krümel von der Tischplatte, schaltete das Gerät ein, indem er auf den Knopf mit dem roten Punkt drückte und sprach: „Man bezichtigt Sie des Bankraubs.“
„Dann ist alles klar, dann kann es nur Nachbar Harry gewesen sein.“
Der Kommissar nickte unbewusst mit dem Kopf. Das Aufnahmegerät allerdings registrierte das Nicken nicht.
Der Delinquent begann zu reden: „Ich war zurückgezogen in mein Elternhaus, Harry wohnte da schon immer.
Seine Eltern hatten sich eine Finca gekauft und waren in den sonnigen spanischen Süden in die Nähe von Estepona gezogen.
Nachdem der Krebs meine Mutter besiegt hatte, versuchte mein Vater auf dem Weg zu ihrer Beerdigung durch einen Brückenpfeiler aus Beton zu fahren. Ob es Unfall oder Selbstmord war, konnten ihre Kollegen nie aufklären, Herr Hauptkommissar.
Nun also waren Harry und ich nach unserer Kindheit wieder Nachbarn. Und wir führten die Tradition unsere Väter weiter. Zumindest zuerst.“
„Welche Tradition?“, konnte sich der Kommissar nicht enthalten, zu fragen.
„Na die mit der Bank.“
„Na, dann erzählen Sie mal“, sagte der Kommissar.
„Wer die Idee mit der Bank hatte, weiß ich nicht. Mein Vater buddelte damals zwei Löcher in die Gartenerde, kippte Beton rein und versenkte zwei lange zwölfer Schrauben da rein, so dass nur noch zwei Zentimeter oben rausguckten. Harrys Vater schleppte dann die Bank an. Sie wurde mit Hutmuttern am Fundament festgeschraubt.
Dann saßen unsere Väter da drauf, jeder auf seiner Seite. Sie hatten die Bank auf die Grundstücksgrenze platziert, halb hüben und halb drüben. Da saßen sie dann also, guckten jeder auf seine Rückseite der Doppelhaushälfte, schwatzten oder schwiegen miteinander. Manchmal hatten sie auch Flaschenbier noch mit diesem Bügelverschluss dabei. Aber unsere Mütter und wir als Kinder durften nie auf der Bank sitzen. War verboten.
Nun also saßen Harry und ich auf der Bank, schwatzten oder schwiegen miteinander. Manchmal hatten wir auch eine Büchse Bier am Wickel. Jeder eine, versteht sich.
Eines Tages hörte ich ein Stimmengewirr hinter der Hecke.
Harry hatte sich die fünf Jahre jüngere Krankenschwester Vera aus dem Krankenhaus angelacht. Und mit ihr auch deren achtjährige Tochter Jessica. Und er war regelrecht aufgeblüht, der Nachbar.
Gewissermaßen zweiter Frühling, wenn Sie verstehen, Herr Hauptkommissar.
Dann passierte es.“
Der Kommissar beugte sich ein wenig nach vorn. Jetzt käme das Geständnis.
„Sie flätzten sich alle drei auf die Bank unserer Väter. Ohne Hemmungen. Mir kam es vor wie ein Sakrileg.
Also nahm ich den neunzehner Ringschlüssel und ging nach den Tagesthemen nach hinten in den Garten.“
Er machte eine Pause.
„Man kann es mit drei Worten oder einem Reim sagen: Abgeschraubt, Bank geraubt.“
Der Delinquent lehnte sich zurück und verschränkte seine Arme.
„Sie können nach Hause gehen“, sagte der Kriminalhauptkommissar in seiner Langversion sichtlich enttäuscht.
Und er dachte: „Bankraub, wenn ich das schon höre.“

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