Nostalgie
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Feierabend-Mitglied
Mittwoch 30.07.2025, 07:07
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München ist das Ziel meiner Reise.
Spüre ich leichtes Herzklopfen, einen Anflug von Wehmut? Verstärkt der graue Himmel meine Traurigkeit darüber, dass so viele Jahre seit meinem letzten Besuch vergangen sind?
Swetlana, ein umwerfendes Mädchen mit viel zu großen Augen und ungestümer Leidenschaft weckte in mir verborgene Sensoren. Sie zeigte mir ihr slawisches Temperament, das meine gewohnten Gefühle intensiver werden ließen. So hatte ich das große Glück, gerade im richtigen Alter die besten Lektionen in vielen Dingen zu bekommen.
Der unvergesslichen Zeit mit Swetlana nachzuweinen, ist nicht mein einziger Reisegrund. Ich habe in München gearbeitet. Die Gassen meiner Erinnerung wollte ich noch einmal entlanggehen, an den Orten vieler langer Nächte eines dieser süffigen Biere vom Fass trinken, möglichst wie damals - im Krug mit Zinndeckel. Wer sein Bier in einem solchen Gefäß serviert bekam, musste ein guter Trinker sein, und Stammgast obendrein. Diese Rolle war mir auf den Leib geschrieben. Für Eskapaden war ich immer gut. Aber ich bin angereist, um mich nur an die schönen Sachen zu erinnern.
Da es regnet, steuere ich das Café Czernowitz an. Schon vor dem Eintreten weiß ich, die Tür wird ein bisschen klemmen, so wie damals. Die Farbe an den Wänden wird verblasst sein und auch sonst wird mich kein übermäßiger Luxus blenden. Doch ich konzentriere mich auf die wichtigen Dinge, und das sind nun mal ein Sitzplatz im Trockenen, ein heißes Getränk und etwas Feines zum Schnabulieren.
Schon hab’ ich die Klinke in der Hand, die Tür klemmt nicht, fast bin ich enttäuscht. Ich wähle „meinen” Platz am Fenster. Von einer Bedienung ist nichts zu sehen. Ich bin der einzige Gast.
Dann passiert’s! Die Backstubentür fliegt auf, knallt gegen das Kuchenbuffet, ein verhaltener Fluch. Swetlana selbst, mittlerweile mit Silberdutt, betritt den Gastraum – balanciert ein Tablett mit ukrainischen Quarkküchlein, goldbraun und weiß berieselt. Sie verströmen einen so köstlichen Duft, dass ich tief im Herzen ein heftiges Glücksgefühl verspüre. Und Gier – nach den Küchlein und Swetlana …
Ich bestelle erstmal nur zwei von diesen Goldtalern. Schmunzelnd stelle ich fest: Swetlana hat mich meines Bartes wegen nicht erkannt. Den Tee serviert eine Angestellte, doch die spielt keine Rolle. Das Meisterbackwerk spielt die Hauptrolle: Dieses unbeschreibliche Odeur von Blätterteig, ukrainischem Weizen, fettem Sauerrahm, Rosinen und aufgeplatzten Sonnenblumenkernen lässt mir fast die Sinne schwinden. Ich bekomme einen emotionalen Schub durch diesen herrlichen Urgeschmack.
Der Blick durch die trüben Fenster auf die Straße macht mich beinahe melancholisch. Meine Stimmung droht abzusacken.
Da wendet sich mir Swetlana mit frisch nachgezogenen Lippen zu: „Eben kommt der Mohnstrudel aus dem Ofen! Den mochtest du doch immer so gern?“
Ich erliege geradezu ihrer, einem Befehl nicht ganz unähnlichen Empfehlung. Nur zu gern füge ich mich.