Start-up
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Feierabend-Mitglied
Samstag 14.06.2025, 07:31
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Diese Geschichte ist eigentlich der Schlusspunkt der Serie "Ein ganzes Jahr”, die ich in meiner Kolumne "Aus der Welt des Salzbarons” seit gestern beendet habe. Wie so oft im Leben (und Schreiben) - kaum ist ein Projekt zu Ende, fällt einem noch etwas Wichtiges ein. So auch hier. Darum kommt diese abschließende Geschichte hier in diesem Forum, weil es da schneller geht.
START-UP
Solange ich zurückdenken kann, träumte ich davon, ein Leben nach meinen eigenen Regeln zu führen. Frei zu sein, unabhängig. Mein eigener Chef – das war das Ziel. Was lag also näher, als es im erlernten Beruf zu versuchen: Hafner, Mosaik- und Fliesenleger. Wild entschlossen trat ich durch die Tür der Meisterprüfungsstelle in der Wirtschaftskammer Salzburg. Dort klärte man mich trocken und emotionslos auf: Zur Meisterprüfung zugelassen wird nur, wer den Gesellenbrief vorweisen kann. Den hatte ich nicht. Zwar hatte ich meine Lehrzeit und die Berufsschule abgeschlossen, aber zur theoretischen Abschlussprüfung war ich nie angetreten.
Ich musste zurück an den Start – wie im Spiel Monopoly. Ich meldete mich zum nächstmöglichen Termin an und stand drei Monate später vor der Prüfungskommission, umgeben von halbwüchsigen Lehrlingen. Ich bestand ohne Probleme. Der Grundstein war gelegt.
Die Vorbereitung auf die Meisterprüfung war eine andere Hausnummer. Es gab spezielle Meisterschulen – aber unbezahlbar für mich. Und monatelang in der Schulbank sitzen, ohne einen Groschen zu verdienen – undenkbar.
„Gibt’s eine Alternative?“, fragte ich.
„Ja“, sagte der Innungsmeister, „wenn Sie das können, was in diesem Buch steht, dann reicht das.“ Er zog ein schweres Werk aus dem Regal: Kendlbacher – Fliesentechnik. Damit war ich entlassen.
„Na gut“, sagte ich mir, „dann halt auf eigene Faust.“ Es folgten Monate des Büffelns. Anfangs half mir meine Frau Anni – wir hatten inzwischen geheiratet – beim Abfragen. Aber das klappte nicht. Anni fehlte das technische Verständnis, und wir stritten nur noch.
„So geht das nicht weiter“, erkannte ich.
Wieder trat mein Freund Bruno auf den Plan.
„Das müssen wir professioneller angehen“, sagte er. Die Rally begann. Ich besorgte zwei Ausgaben der sogenannten Fliesenlegerbibel. Eine davon zerlegten wir in einzelne Kapitel und fertigten einen systematischen Fragenkatalog. Wir trafen uns zweimal pro Woche zu Abendsitzungen. Ich bestand darauf, Bruno wenigstens Kilometergeld zu zahlen. Er wehrte ab, aber ich blieb stur: „Was nichts kostet, ist nichts wert!“ Als zusätzlichen Anreiz setzte ich eine Prämie bei erfolgreicher Ablegung unserer Meisterprüfung aus. Jetzt war auch Bruno elektrisiert.
Lange Rede, kurzer Sinn: Am Freitag, den 13. Juni 1986 bestand ich als Einziger von vier Angetretenen die Prüfung vor der Landesinnung für Hafner, Platten-, Fliesen- und Mosaikverleger. Nicht mit Auszeichnung – wie erhofft – aber bestanden. Danach war mein Hirn leer. Ich ließ das Auto in der Tiefgarage und ging zu Fuß nach Hause. Die Einladung der anderen Prüflinge zum Besäufnis im „Pitter-Keller“ schlug ich aus. Ich wollte allein sein.
Der Druck ließ nicht nach. Ein Jahr lang hatte ich tagsüber auf Baustellen geschuftet und abends gelernt, bis mir die Augen brannten. Erst bei der feierlichen Übergabe der Meisterbriefe im Mozarteum, durch den Landeshauptmann persönlich, dämmerte mir, was ich geschafft hatte – und endlich konnte ich mich freuen.
Der Start ins Unternehmertum begann in einem winzigen Büro und einer gemieteten Garage als „Geschäftslokal“. Es war zweifellos das größte Risiko meines Lebens – aber ich wollte es denen da oben zeigen. Gar nicht so einfach mit meiner Vergangenheit als notorische Schnapsdrossel. Einen Kundenstamm aus dem Nichts aufbauen – das war eine Herkulesaufgabe.
„Wer vertraut schon einem Alkoholiker?“, raunten manche.
Ich hatte keine Lobby. Wer sollte mich buchen? Die Saufkumpane von gestern? Die Klosterschwestern, die mir Suppe gaben? Oder die Polizisten, die mich regelmäßig wegsperrten, wenn ich durch mein Äußeres die öffentliche Ordnung störte?
Das Risiko war real: Scheitert das Unternehmen, ist der Rückfall verdammt nah.
Aus ehemaligen Arbeitgebern waren nun Kollegen geworden – nicht alle freundlich gesinnt. Manche grüßten mich süffisant mit „Prost, Ferdl!“. Ich überhörte es und arbeitete stur weiter an meinem Konzept, das auch die kleinkariertesten Zunftmeister überzeugen sollte.
Wieder probte ich den Aufstand gegen die Etablierten. Seit zwei Jahren plante ich einen Standortwechsel samt Ausweitung der Geschäftstätigkeit ins benachbarte Bayern. Der bevorstehende EU-Beitritt spielte mir in die Hände. Euregio – das neue Schlagwort für ein Europa der Regionen – vermittelte Aufbruch und Weite. Meine Firma wurde international. Ich importierte Keramik aus Südeuropa und verlegte sie fachgerecht in alpenländischen Bettenburgen – ein Modell mit Zukunft.
Für exklusive Kundschaft baute ich einen Schauraum mit modernster 3D-Computerplanung: „Bäder vom Feinsten“. Ein Novum im Handwerk. Das wollte gefeiert werden.
Januar 1995. Wieder ein Freitag, der Dreizehnte. Für mich ein Glückstag.
Einladungen und Pressemappen gingen an den ORF, an Zeitungen, an den Verbandspräsidenten, an Architekten, das Hochbauamt, an meine Kunden – und nicht zuletzt an den Kämmerer der Erzabtei St. Peter. Mit Stolz und Genugtuung lud ich sogar die größten Konkurrenten der Branche ein. Die Rückmeldungen ließen Gutes erahnen.
Für das Catering engagierten wir die beste Firma der Stadt. Anni und ihre Tochter Claudia wählten ein italienisches Buffet, andalusischen Wein und Portwein aus Madeira. Zwei Hostessen bewirteten die Gäste zwischen Marmortafeln und futuristischen Mosaikskulpturen.
Meine kühnsten Erwartungen wurden übertroffen. Bruno Dangl, mein Freund und Berater, hob den Daumen: „Läuft super“, sollte das heißen. Jetzt war ich dran mit der Begrüßungsrede.
„Sprich einfach so, wie dir der Schnabel gewachsen ist“, hatten die Experten geraten. „Das kommt am besten.“
Und es kam, wie’s kommen musste – ich vergaß, die Frau Stadträtin zu begrüßen.
Zur Ehrenrettung sei gesagt: In genau diesem Moment pinkelte der kleine Sohn meiner Steuerberaterin in die WC-Attrappe im Musterbad und fragte mich, warum die Spülung nicht funktioniere. Ich schnappte mir den Putzeimer.
So fängt’s ja gut an, dachte ich.
Trotzdem: Meine Firma war angekommen – mitten in der Euregio.
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© story & photo by ferdinand