Take of West-Berlin
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Feierabend-Mitglied
vorgestern, 08:51 – geändert vorgestern, 08:54
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Den entscheidenden Impuls gab ein Poster im Vorraum des Reisebüros: „Take off – West-Berlin“. Der Spruch traf mich wie ein Stromstoß. Die freundliche Reiseexpertin hinter dem Tresen ließ meine geplante Bahnreise schnell verblassen. Als sie sagte: „Der moderne Mensch fliegt, mein Herr!“, war ich überzeugt. Ich wollte ohnehin so rasch wie möglich zu meiner Liebsten – Kerstin.
Sie wohnte in Berlin. Im Wedding, wie sie sagte. Ich verband das damals mit Heiraten.
Auf der Besucherterrasse des Flughafens München-Riem beobachtete ich, wie die Vickers Viscount langsam ausrollte und vor dem Terminal zum Stillstand kam. Die Maschine von British European Airways würde mich hoffentlich sicher nach West-Berlin bringen. Ich war fasziniert von der Atmosphäre: ständiges Kommen und Gehen, Menschen und Maschinen in pausenloser Bewegung. Ich fühlte mich wie am Tor zur Welt. Von der Startbahn dröhnten die Triebwerke der Jets herüber.
Ich fühlte mich großartig – und gab mich betont lässig, als ich zum Gate ging.
Zum ersten Mal in meinem Leben saß ich in einem Flugzeug. Ich war überzeugt, der Einzige an Bord zu sein, der noch nie geflogen war. Bloß nichts anmerken lassen! An der Gangway hatte die Stewardess Zeitungen verteilt. Auf meinem Fensterplatz angekommen, entdeckte ich an der Rückenlehne eine Broschüre mit Verhaltensregeln. Vorsichtig, so dass es keiner merkte, schob ich sie zwischen die Zeitung und begann zu lesen – und wurde stutzig.
„Die Schwimmweste befindet sich unter dem Sitz“, stand da. Und was im Fall einer Notwasserung zu tun sei. Notwasserung? In Berlin? Ich wurde nervös.
Als die Maschine abhob, schloss ich die Augen. Nichts Schlimmes passierte, nicht einmal Übelkeit. Wo waren eigentlich die berühmten Kotztüten? Ich entschloss mich, nicht weiterzulesen. Stattdessen drückte ich mein Gesicht an die kühle Scheibe. Mein Mantra lautete: Locker bleiben! Wenn schon fliegen, dann ganz bewusst. Noch nie, so war ich mir sicher, hatte jemand einen Flug so in sich aufgesogen wie ich.
Über Berlin hingen Wolkenfetzen, als der Flieger zur Landung ansetzte. Während er tiefer sank, lichtete sich der Dunst – und durch meine Fensterluke schob sich ein graues Häusermeer ins Blickfeld. Der Flughafen Tempelhof lag mitten in der Stadt. Mit feuchten Händen klammerte ich mich an den Sitz.
Hoffentlich schrammt er mit der Tragfläche nicht einen der Kamine, dachte ich.
Als wir in geringer Höhe über die Stadtautobahn glitten, ließ die Anspannung nach.
Dann ein Rumpeln – das Flugzeug setzte sicher auf. Und mir kam es vor, als hätte die Maschine einen kleinen Hopser gemacht – vor Freude, wie mein Herz, als mich mein Spåtzl zur Begrüßung küsste.
Ich fühlte mich wieder großartig.
Sie staunte, als ich ihr meine Unterkunft nannte. Das Reisebüro hatte mir das Hotel Stefanie am Kurfürstendamm, Ecke Bleibtreustraße, gebucht. In diesem altehrwürdigen Haus erlebten wir zwei wildromantische Tage. Dann gestand sie mir, dass sie reumütig zu ihrem Fred zurückkehre.
Es war also nicht mehr als ein verlängerter One-Night-Stand.
Das war schwer zu verkraften.
Die Schwarzseher unter meinen Freunden hatten Recht behalten. Die Illusion, gewachsen aus einem Urlaubsflirt, zerplatzte wie eine Seifenblase.
Was blieb, waren ungestüme Nächte in den Bars von West-Berlin.
Das Geld war schneller weg, als ich dachte. Das Mädchen auch.
Zum Glück hatte ich ein Retour-Ticket.
©text by ferdinand
©photo by peter scharkowski