Das Nikolausgedicht
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Feierabend-Mitglied
Mittwoch 04.12.2024, 19:18
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Das Nikolausgedicht
Die Pfarrkirche „Herz Jesu“ in unserem Dorf ist für eine Dorfkirche riesig. Hochwald-Dom wird sie genannt. Zu verdanken hat sie ihre Größe den großzügigen Spenden der Barone von Zandt und den Gottbill’schen Eisenwerken. Jedes Jahr wurde im großen Altarraum, in dem damals der kleine Altar noch nicht dastand sondern nur der Hochaltar, vor Weihnachten von den Kindergartenkindern und den Kindern der 1. – 3. Klasse der Volksschule ein Krippenspiel
aufgeführt. Die Kirche war da voll besetzt bis auf den letzten Platz.
Für das Krippenspiel wurde wochenlang vorher fleißig im Kindergarten geübt. Der Küster saß am Klavier und wir übten Weihnachtslieder und das Krippenspiel. (das einzige Foto von mir und meinem Bruder, das ich aus 1952 aus dem Kindergarten habe)
Nach dem Krippenspiel in der Kirche folgte der Teil der Weihnachtsfeier, auf den sich alle Kinder freuten und den sie gleichzeitig Jahr für Jahr fürchteten. Die Krippe in der Altarmitte wurde zur Seite geschoben und ein großer Sessel aufgestellt. Seitlich davor stand ein kleines Bänkchen. Aus der Sakristei kam ein prächtiger Nikolaus mit einer goldenen Bischofsmitra auf dem Kopf, und einem festlichen Bischofsgewand. In der einen Hand hielt er einen goldenen Bischofsstab, in der anderen ein großes Meßbuch. Er setzte sich in den Sessel und schlug sein Buch auf. Mit dröhnender Stimme las er den Namen eines Jungen oder eines Mädchens vor. Das aufgerufene Kind mußte zu ihm gehen und sich auf das Bänkchen stellen.
Dann las er aus dem Buch ein mehr oder weniger mildes Sündenregister vor, das aber immer damit endete, daß er sagte, er habe aber vom Schutzengel gehört, daß das Kind sonst immer brav wäre. Jedes Kind hatte ein Liedchen oder kleines Gedicht eingeübt, das es nun vortragen mußte. Für alle Kinder eine Zitterpartie!
„Ich weiß“ sagte der Nikolaus zu meinem Bruder Rüdiger, „daß du ein Gedicht für mich gelernt hast!“, als der auf dem Bänkchen stand. Mein Bruder war so eingeschüchtert und verängstigt, daß er alles vergessen hatte. Hilfesuchend schaute er in den Kirchenraum und suchte mit den Augen unsere Mama. Die saß in der Kirchenbank und versuchte, ihm mit deutlichen Lippenbewegungen zu soufflieren .Niklaus, Niklaus, guter Mann….
Mein Bruder schaute ratlos.
In den Wintermonaten wurde damals in fast jedem Haus geschlachtet. Auch dafür hatten wir im Kindergarten ein Gedicht gelernt.
Die Miene meines Bruders hellte sich auf und er begann strahlend, weil es ihm doch noch eingefallen war, mit lauter Stimme zu rezitieren:
„Du armes Schwein, du tust mir leid, du lebst ja nur noch kurze Zeit.
aus dir wird Wurst und Schinkenspeck ……“
der Rest ging in einem ohrenbetäubenden Lachen der Kirchenbesucher unter. Der Bauch des Nikolaus hüpfte vor Lachen, er gab Rüdiger seine Tüte mit Süßigkeiten und der ging strahlend zur Mama, weil doch den Leuten sein Gedicht so gut gefallen hatte!