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Gambas al Ajillo

Von Feierabend-Mitglied Freitag 03.05.2024, 11:46

Gambas al Ajillo

Sie arbeitete schon fast zwei Jahre bei der spanischen Tochterfirma eines großen deutschen Pharma-Unternehmens in Barcelona. Die deutsche Mutterfirma hatte sie dorthin abkommandiert, mit dem Auftrag, die Kommunikation zwischen Deutschland und dem spanischen Tochterunternehmen zu verbessern. Eine umwälzende Neuordnung stand an. Alte Strukturen mussten aufgebrochen werden, die Produktion räumlich von der Verwaltung getrennt werden. Darüber war die Belegschaft in Barcelona sehr unglücklich.
Die Produktionsanlage im Untergeschoss des massiven altehrwürdigen Firmensitzes inmitten eines gutbürgerlichen Stadtviertels von Barcelona konnte mangels Platz nicht erweitert werden. Die städtischen Behörden wollten das Hantieren mit hochaktiven chemischen Stoffen inmitten eines Wohngebietes nicht länger tolerieren und verboten strikt jegliche Ausweitung der Produktion. Sie dachte noch heute mit Schrecken daran, als sich einmal bei der Herstellung einer bekannten Schmerztablette eine Staubexplosion ereignete, die die darüber liegenden Stockwerke zum Zittern und eine Großzahl der Fenster zum Bersten brachte, sodass sich das halbe Gebäude in einem leuchtenden Pink präsentierte, als sich die Farbwolke über alle Stockwerke und nach außen an der Fassade niederschlug. Einige Arbeiter aus der Produktion trugen tagelang rosa Flecken auf der Haut und seltsam verfärbte Haare.
Dieser gefährliche Vorfall beschleunigte den Baubeginn der neuen Fabrikationsanlage, die einige Kilometer entfernt von Barcelona entstehen sollte. Ab sofort zeigte sich ein steter Strom deutscher Ingenieure, die den Bau mit den örtlichen katalanischen Bauträgern planen, durchführen und beaufsichtigen sollten. Für die sprachliche Verständigung war sie als spontan ernannte Dolmetscherin bei vielen Besprechungen anwesend. In rasender Schnelle musste sie zwangsläufig das hierfür notwendige, technisch hochkomplexe Vokabular für die Errichtung einer modernen Fabrik erlernen. Es war eine harte, aber interessante Zeit. Jeder Tag brachte neue Herausforderungen. Sie liebte diese hektischen Tage.
Manchmal musste sie die deutschen Techniker betreuen, was bedeutete, dass sie sie zum Essen ausführen und ihnen die nächtliche Schönheit von Barcelona zeigen sollte.
An einem Freitag traf sie unvorbereitet die dringende Bitte der Geschäftsleitung, einen jungen deutschen Bauingenieur am Abend auszuführen.
Für diesen Abend war sie allerdings schon mit dem österreichischen Vize-Konsul von Barcelona, dem geschniegelten und gestriegelten Maximilian Pallinger verabredet. Ein gutaussehender Mann mit einer unzähmbaren Mähne schwarzer Haare, der nicht unter Minderwertigkeitskomplexen litt. Ganz im Gegenteil, er war ein eingebildeter, aber sehr charmanter Österreicher mit „Küss die Hand, gnä` Frau“ und dergleichen Höflichkeitsfloskeln und Schmäh. Sehr unterhaltsam und sehr von sich eingenommen, aber ausgestattet mit einer raren Begabung: mit ihm langweilte man sich keine Sekunde. Das war etwas, was sie an Männern unsagbar schätzte. Er beherrschte den Smalltalk außerhalb der ausgetretenen Pfade und gehörte zu der Spezies von Mann, die mit Witz und Verstand für eine spritzige Unterhaltung sorgte. Gerne nahm sie dann auch hin, dass sie beide manchmal völlig konträre Meinungen vertraten. Lieber ein heftiges Streitgespräch als eine langsam dahinschleppende Unterhaltung, die bei ihr eine lähmende Unlust und geistige Müdigkeit hervorriefen.
Max war nicht ihr fester Freund. Sie glaubte, dass er mehrere beste Freundinnen hatte. Kennengelernt hatte sie ihn bei einem Empfang des deutschen Konsulats, an dem er zufällig auch teilgenommen und sie angesprochen hatte. In der deutschsprechenden Community von Barcelona wurde gemunkelt, dass er ein Lebemann sei und sich nähme, was und wie es ihm passte. Ja, er genoss den Ruf eines unverbesserlichen Casanovas. Dennoch mochte sie ihn. Sie teilte seine ironische Sicht auf die Dinge des Lebens und schätzte seinen schrägen Humor.
Ihr zuliebe ließ sich Max überreden, den Abend zu dritt zu verbringen. Ausgestattet mit ausreichend Firmengeld gingen sie in ein gutes Lokal im Zentrum von Barcelona und ließen es sich schmecken. Als Vorspeise hatten sie „Gambas al Ajillo“ bestellt. Auch der junge Ingenieur aus Deutschland, dem man ansah, dass er noch keine größeren weltläufigen Erfahrungen gemacht hatte, schloss sich ihrer Bestellung an. Ob er sich allerdings darüber im Klaren war, dass für die Zubereitung der Krabben in dem heißen Olivenöl eine Menge Knoblauch benötigt wurde, das wussten sie nicht. Sie schwatzten ohne Ende und lachten, machten Witze und waren alle drei bester Laune. Der reichlich fließende Wein trug nicht unerheblich zu ihrer guten Stimmung bei. Als der Kellner herbeieilte und die Vorspeisenteller abräumen wollte, fiel ihr Blick auf den Teller des jungen Ingenieurs. Er war blitzblank sauber, während sich bei Max und ihr die Schalen der verzehrten Meeresfrüchte zu Haufen türmten. Sie war erstaunt und bedeutete dem Kellner zu warten.
„Was haben Sie mit den Schalen der Garnelen gemacht, haben Sie die schon vorher abräumen lassen?“ wandte sie sich an den jungen Deutschen.
„Welche Schalen? Da waren keine Schalen.“
Perplex schaute Max und sie erst auf seinen Teller und dann auf den jungen Mann.
„Haben Sie den Garnelen nicht den Panzer abgezogen?“ Das ungläubige Staunen in Pallingers Stimme war nicht zu überhören.
„Ich habe die Gambas so gegessen, wie sie auf dem Teller lagen, mit allem Drum und Dran.“
Sollten sie beide Ignoranten nicht bemerkt haben, dass der junge Mann nicht wusste, wie man den Meeresfrüchten zu Leibe rückte und glaubte, dass man sie inklusive ihrer Schalen verzehrte?
Max und sie schauten sich verwirrt an. Erst sprachlos und entsetzt, aber dann mussten sie so lachen, dass sie nicht mehr aufhören konnten. Dem armen Kerl blieb nichts anderes übrig, als mitzulachen. Sie wischten sich die Tränen aus den Augen und fuhren mit dem Essen fort. Aber immer, wenn sich Max‘ und ihre Blicke trafen, brach der in einen hysterischen Lachanfall aus. Sie riss sich zusammen. Ihr drohender Blick brachte ihn noch mehr zum Lachen.
Später gingen sie mit ihrem Gast in eine Bar, wo sie ihn nötigten, eine größere Portion Whisky zu trinken, damit sich die Schalen der Gambas darin auflösen sollten. Ob es seine Magensäure zusammen mit dem Whisky schafften, den Zersetzungsprozess zu beschleunigen, haben sie nie erfahren. Reichlich alkoholisiert brachten sie ihn weit nach Mitternacht zu seinem Hotel. Er war etwas unsicher auf den Beinen. Sie sahen ihm nach, er sah so unschuldig aus. Ob ihm die Passagiere morgen im Flieger den Knoblauchgeruch übelnehmen würden? Sie wussten es nicht. Ein Hauch von Schuld und Mitleid erfasste sie. Ach, sie waren ja sooo cool!!
Am nächsten Morgen, ein Samstag, sie lag noch im Tiefschlaf, kam ein Anruf von Max aus einem Krankenhaus. Er war gestern Nacht beim Aussteigen aus dem Taxi unglücklich zwischen Auto und Bordsteinkante gestolpert und zu Boden gestürzt. Leider so unglücklich, dass er auf das Gesicht gefallen war und sich die Nase gebrochen hatte. Dabei hatte er noch Glück im Unglück, dass er sich nicht das Bein gebrochen hatte. Beide Hände total aufgeschrammt. Außerdem müsse er wegen einer kleinen Verletzung am linken Augenlid eine Augenklappe tragen.
„Du hast Schuld und wirst dich um mich kümmern, Spatzerl! In diesem Zustand kann ich mich nicht unter die Leute wagen. Ruf mich an, wenn du kommst.“
Er legte auf, bevor sie noch ein Wort des Widerspruchs hätte äußern können.

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