Notre Dame de Paris à Noël

Notre Dame de Paris à Noël

Es war der 24.12., Heiligabend im Jahr 1962. Ich war mit 14 Jahren seit acht Monaten in Paris. Noch nie war ich an Heiligabend allein gewesen. All die vergangenen Jahre habe ich mit den Eltern und meinen Geschwistern Weihnachten gefeiert. Und nun war ich mutterseelen allein in der riesigen Stadt. Ich hielt es so allein in meinem winzigen Zimmer in der Rue Piemontesi Nr.6 nicht mehr aus. Ich mußte hinaus auf die Straße und lief bis zur Place Pigalle am Boulevard de Clichy und weiter zur Rue Montmartre. Es war schon dunkel und aus den Fenstern schimmerten Lichter und hier und da hörte man auch Weihnachtslieder. Die sonst so belebten Straßen waren fast menschenleer.
In der Rue Montmartre stieg ich in die Metro und fuhr über die Rue du Louvre am Louvre vorbei bis zur Station Notre Dame de Paris. Da stand ich vor der riesigen Kathedrale und auf der Suche nach Weihnachten und Geborgenheit ging ich hinein. Die große Kirche war fast leer und in ein warmes Dämmerlicht gehüllt. Auf der rechten Seite, an einem großen Seitenaltar war eine wunderschöne Krippe aufgebaut. Da setzte ich mich davor. Und da war ich auch nicht allein. Auf den Bänken vor der Krippe saßen gut zwei Dutzend Männer und ein paar Frauen mit dem typischen Aussehen der Clochards. Für sie waren in dieser Nacht die Türen der Notre Dame offen geblieben. Sie sollten in dieser Nacht nicht unter den Brücken der Seine schlafen müssen, sondern eine Herberge in dieser Kirche gefunden haben.
Wie ich so dasaß, gedankenversunken mich nach Zuhause träumen, kamen zwei Nonnen mit einem großen Korb voller Tüten die Bänke entlang. Jeder bekam so eine Tüte. „C'est pour vous. Joyeux Noël." sagte die Nonne und gab auch mir eine Tüte. Eine Orange, ein Apfel und etwas Gebäck war darin.
Das war mein erstes Weihnachten allein in der Fremde.
Ich machte mich auf den Weg nach Hause. Zum ersten Mal nicht mit den Eltern und Geschwistern am Heiligabend. Es kann sein, daß ich mich in den Schlaf geweint habe.