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Verzaubert

Von tastifix Samstag 23.03.2024, 08:24 – geändert Dienstag 26.03.2024, 08:52

Endlich wieder mal durch eine sehenswerte Gemäldeausstellung zu gehen, die Mimik und Gestik der anderen Besucher beim Betrachten eines Werkes zu deuten zu versuchen und sich ganz der Entrückung hinzugeben ... Ja, das hat sie sich für heute fest vorgenommen. Keine unaufschiebbaren familiären oder beruflichen Verpflichtungen werden sie davon abhalten. Sie wird frei sein, frei für die Welt der Vorstellung und Wünsche.

Frühen Nachmittags verlässt Kerstin das Haus. Um ihrer Freude ob dieser Stunden. die ausschließlich ihr allein gehören sollen, Ausdruck zu verleihen, hat sie sich schick angezogen. Sehr romantisch, so wie sie es mag. Das weiche Tannengrün des weit schwingenden Kleides schmeichelt ihr. Sie fühlt sich hübsch und begehrenswert. Beschwingt macht sie sich auf den langen Spaziergang durch den Park bis hin zur Kunsthalle. Ach, es ist schon eine geraume Zeit her, dass sie jenes Haus das letzte Mal betreten hat.
Es handelt sich um eine Ausstellung naiver Malerei, für die sie schon immer geschwärmt hat.

Erwartungnvoll lächelnd zeigt sie die Eintrittskarte vor, nimmt sie dankend zurück und betritt zielstrebig einen Saal, in dem nur wenige, jedoch besonders große Werke hängen. Das erste, in kräftigen Farben gehaltene Bild, zeigt eine alltägliche Situation auf einem Bauernhof. Das nächste einen bunten Wiesenblumenstrauß in einer halbrunden weißen Vase vor einem anthrazitfarbenen Hintergrund. Anerkennend wandert ihr Blick über diese Werke ihr völlig unbekannter Künstler, deren Namen sie noch nie gehört hat, freut sich an den Farben und Formen.

Danach wendet sie sich langsam der gegenüber liegenden Wand zu. Sie bleibt faszinierend stehen und vermag den Blick nicht mehr von einem bestimmten Gemälde lösen. Es ist riesig, etwa zwei Meter breit und ungefähr ebenso hoch. Das alltägliche Motiv verrät kein auffallendes Detail, zeigt sich nur als einen Wald, wie es viele gibt. Ein Aschenweg, der von vorne mittig in einer sanften Biegung nach hinten rechts das Panorama teilt, bildet den einzigen Blickfang. Kein Sonnenstrahl erhellt ihn, keine am Wegesrand stehenden leuchtenden Blumen fesseln das Auge. Und doch lädt jener Weg zum Verweilen in jener Stille ein, die für die Seele so erholsam ist.

Kerstin atmet tief durch. Später dann weiß sie nicht mehr zu erklären, wieso sie nach kurzem Betrachten dieses Bildes sich nicht noch weiteren Kunstwerken gewidmet hat, die es mit Sicherheit ebenfalls wert gewesen sind, eine solche Beachtung zu finden. Nein, dagegen vertieft sich ihr Blick in dieses Gemälde, mehr und mehr. Sie vergisst, wo sie steht, vergisst die leise miteinander tuschelnden Menschen und fühlt sich zunehmend von jener Landschaft magisch angezogen.

Die Menschen um sie her scheinen sich zu entfernen, deren murmelnde Stimmen für sie lautloser zu werden. Bereits seit bestimmt zehn Minuten verharrt kerstin dort, der Saal wird zu einer mehr und mehr zurück weichenden Kulisse. Die Umgebung ist vergessen. Unwillkürlich macht Kerstin einen Schritt auf das Bild zu, überschreitet die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum und findet sich auf eben diesem rot-bräunlichen Wanderweg wieder. Obwohl dort allein, empfindet sie keine Furcht, im Gegenteil. Unter den Bäumen fühlt sie sich geborgen. So spaziert sie ohne Zaudern weiter diesen Weg entlang.

Nach einer Weile, es mag eine halbe Stunde gewesen sein, lichtet sich die Baumgruppe und Kerstin steht auf einer in gleißend helles Sonnenlicht gehüllten Wiese, übersät mit den schönsten Blumen, die sie sich nur vorstellen kann.
„Wie herrlich!!“
In jubelnder Freude möchte sie singen und tanzen und tanzen und singen. Am liebsten würde sie selber zu einer leuchtenden Blüte in diesem Naturwunder werden.
„Mein Gott, danke dafür!“, flüstert sie inbrünstig, widersteht nicht mehr, wirft ihren Lockenkopf zurück und beginnt sich im Kreise zu drehen, schneller und schneller. Weil vüllig entrückt, ist alles Schwere von ihr genommen. Leicht wie eine Feder fühlt sie sich und überlässt sich dieser überwältigenden Empfindung, die nur aus tiefem Herzen kommt.

Auf einmal vernimmt sie aus der Ferne eine unglaublich schöne Musik. Der überaus liebevolle Klang nähert sich rasch, verzaubert sie. Ein wenig verunsichert steht Kerstin dort.
„Komm!", lockt sie eine zarte Stimme wie die eines Engels. „Du hast die Fähigkeit bewiesen, mit dem Herzen zu sehen. Dir sei etwas geschenkt, das nur wenigen Menschen zuteil wird. Sieh dort hinten das Tor. Es wird das Tor zur immer währenden Seligkeit genannt. Schreite hindurch und Du wirst für ewig eins mit ihr."

Kerstin fragt nicht, wer da mit ihr spricht. Sie spürt im Herzen das Gute und lässt sich von ihm leiten. Bedenkenlos und jener Stimme vertrauend folgt sie dem Ruf und wird zu einem strahlendem Lichtwesen, das kein Gestern, kein Heute und kein Morgen kennt - nur immerwährenden Frieden.

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