Weltschmerz im Karneval
Von tastifix Freitag 17.01.2025, 11:11
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Bislang hatte ich angenommen, Schneewittchen gäbe es nur in der berühmten Geschichte der Gebrüder Grimm.
Bereits seit Tagen wunderte es mich zunehmend, wieso mir während der Einkaufstouren so viele Tierkinder entgegen trippelten. Zweibeinige Tierkinder wohlgemerkt, die tatsächlich Fremdsprachen zu beherrschen schienen. Einmal blitzte mich ein solches mit großen Augen an und meinte, anstatt zu brüllen wie ein Löwe, wirklich:
´Guck mal, ich bin ganz wild und gefährlich!`
Wieso aber wurde ich nicht kreidebleich vor Angst, schlotterten mir nicht die Beine?? Tja, beim genaueren Betrachten stellte ich nämlich erleichtert fest:
´Das ist kein junger Löwe. Das ist ja ein Menschenkind!`
Dieses Erlebnis warnt vor.
´Karnevalszeit. Deshalb also!!`
In den nachfolgenden Tagen erschreckte mich nichts mehr, keine jungen Löwen und Tiger, keine Elefanten, keine Mäuse und noch nicht mal bedrohlich wirkende Spinnen. Die richtigen lassen mich sofort Türen zuknallen (Spinne soll ja nicht hinterdrein huschen) und fluchtartig das Haus verlassen.
Dann wurde es Samstag und in Begleitung von Mama und Papa traf meine vierjährige Enkelin bei uns ein. Tante Vier guckte bei ihrem Anblick ganz stolz.
´Oooh! Ein zweites Schneewittchen! Eine Zwillingsschwester??`
So süß, wie sie ausschaute, konnte es gar nicht anders sein. Toni trug eine schwarze glänzende Perücke und auf dieser einen Reif mit einer großen roten Blume, über den Augen blauen Lidschatten, der die blauen Augen noch strahlender wirken ließ und eine Halskette, die mich sofort an die Titanic-Kette mit dem blauen Herzanhänger denken ließ. Allerdings war dieser Anhänger hier rot wie Blut. Das Kleid hatte garantiert ein Pariser Modedesigner entworfen. Das Oberteil aus königsblauem Pseudo-Samt mit Goldbordüren, der bodenlange weite Rock aus gelbem Tüll. Das modische I-Tüpfelchen gaben dann die grauen Wanderstiefel ab, die sich bei jedem Schritt frech zeigten. Und weil es recht kühl war, krönte das Ganze noch ein dunkler Anorak mit vielen winzigen Blümchen.
Nachdem wir sie gebührend bewundert hatten, ging es los zum Zug. Alle sammelten fleißig mit und nach Ende des Umzugs (etwa nach zwei Stunden) schleppten wir zwei randvolle Einkaufsbeutel mit Schluckerbeute gen S-Bahn und zogen ein völlig erschöpftes Tonilein hinter uns her. Auf der untersten Stufe der Treppe hoch zum Bahnsteig erklärte ich ihr noch schnell, wie eine Prinzessin anmutig ein solches Kleid rafft und ermahnte sie, nur vorsichtig zu laufen, damit sie nicht hin fiele. Also konzentrierte sich Toni sichtlich, was ihr die letzte Kraft zu rauben schien, so dass sie ausgerechnet auf mittlerer Höhe plötzlich der ´tote Punkt` ereilte. Sie blieb stehen, verzog das Gesicht, konnte sich nicht mehr beherrschen und fing an zu weinen. Immer lauter. Auf meine besorgte Frage, weshalb sie denn jetzt so weine, schniefte sie:
„Ich weine, weil (schnief), wenn ich (nochmals schnief) so weiter weine, dann die ganze Schminke weg ist!!“
Alle Umstehenden schmunzelten. Ich zu ihr:
„Tonilein, dann hör doch einfach auf zu heulen! Und übrigens, kannst ganz beruhigt sein: Die Schminke ist noch da, wo sie sein soll!“
Augenblicklich hörte sie auf zu schniefen und riskierte wieder ein Lächeln.