Der Kampf mit der Psychoanalyse (Satire)
Von
tastifix
Mittwoch 07.07.2021, 20:03 – geändert Mittwoch 07.07.2021, 21:12
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tastifix
Mittwoch 07.07.2021, 20:03 – geändert Mittwoch 07.07.2021, 21:12
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Während der Vorbereitung einer Rede über Psychologie wälzte ich sämtliche mir zur Verfügung stehenden Wälzer. Mich sprangen Über-Ich, Bewusstsein und Unterbewusstes an. Genervt erinnerte ich mich der Diskussionen im Pädagogik-Unterricht vor bald 55 Jahren. Welche Gedanken und Aktionen wurden von woher gesteuert, was nur war das Über-Ich, wenn nicht nur eine verrückte Erfindung, um uns Laien noch mehr zu verwirren als wir es ohnehin schon waren? Zweifel ergriffen mich. Wie musste ich mich selber einschätzen? Würde sich gar herausstellen, dass meine Überlegungen und die nachfolgenden Aktivitäten völlig gegen die geltenden Psychologie-Erkenntnisse liefen?
Energisch schnappte sich das Unterbewusstsein das Bewusstsein, welches sich dann zur Sicherheit ans Über-Ego klammerte oder pflichtbewusst - auch umgekehrt. Gemeinsam spornten sie mich an, eine möglichst gelungene Rede zu halten. So motiviert schritt ich nach salbungsvoller Begrüßung von Seiten des Schuldirektors zum Rednerpult. Ein Mikrophon war vorhanden. Es vermittelte eine relative Sicherheit, dass meine leise Stimme auch die letzten Stuhlreihen in der Aula erreichen würde. Genauso aber ließ mich sein Anblick heftig schlottern. Ein einziges falsch gewähltes Wort und ich würde der erbarmungslosen Verachtung des ja bestens vor informierten Publikums ausgeliefert sein.
In meiner Vorstellung stand ich nach schlimmer Blamage im Arbeitsamt in der langen Schlange vor einem der heiligen Büros und flehte um Gnade sowie einen neuen Arbeitsplatz. Geschockt würden mir Unterbewusstsein, Bewusstsein und Über-Ich beinahe den Dienst verweigern und ich ziemlich ratlos herum starren. Wenigstens wäre mir die Peinlichkeit der Situation dann kaum mehr bewusst.
Ich musterte meine Zuhörer, deren Füße bereits leise ungeduldig übers Parkett scharrten. Laut geziemte sich das nicht. Dies hatte deren Unterbewusstsein dem Bewusstsein noch rechtzeitig klar gemacht. Ernster Miene räusperte ich mich:
„Sehr verehrten Damen und Herren!"
Auch dies war meinem bibbernden Bewusstsein mit auf den
Vortragsweg gegeben worden.
„Die Psychologie!", fuhr ich fort, bereits etwas psychologisches Land gewinnend, „ist bei der Erkennung seelischer Probleme eine große Hilfe. Sie findet für alle Möglichkeiten und noch öfter für alle Unmöglichkeiten garantiert die richtige Ursache, sei es in der Kindheit oder gar vor der Geburt des Betreffenden, ohne jene dann begründen zu müssen."
Kritisch musterte ich das Publikum. Zum Teil aufgesetzt verstehende Mienen, auch zustimmendes Gemurmel und tatsächlich hier und dort ein schüchternes Lachen. Jenes aber empfand so manches Unterbewusstsein als arg provozierend. Es katapultierte die aufkommende Wut ins betreffende Bewusstsein, was empörte Blicke in Richtung des Lachers zur Folge hatte. Der schämte sich in Grund und Boden und verhielt sich von dann an zwecks Bewahrung des Seelenfriedens ausgesprochen still und bediente sich so einer allgemein bekannten und massenhaft genutzten psychologischen Taktik.
´Noch vermögen sie zu folgen! Das gilt es auszunutzen!`
Deshalb ließ ich eine wirkliche Worttirade folgen. Tatsächlich zeigten die Zuhörer ein ständig größeres Interesse.
´Was kann ich denen noch zumuten?`
Ich war dermaßen in Fahrt geraten, dass ich mich nicht mehr zu bremsen vermochte. Trotzdem lauschten alle noch gebannt.
„Sie kennen ´Freud`, der in der Psychoanalyse viel auf sehr einleuchtende Weise begreiflich gemacht hat.“
Ich legte sicherheitshalber eine unbedeutende Pause ein, um soviel wie möglich an Konzentration beziehungsweise des dafür erforderlichen Willens herauszufordern.
„Als Basis der Psychoanalyse gilt das Unbewusste, dessen Einführung in die Psychologie geradezu einer Entdeckung gleichkam.“
Leider erlitten nun viele Zuhörer sichtbare Bewusstseinsschwächen, gaben Ausführungen die geistigen Bemühungen auf und sich frustriert einem hoffentlich unbeobachteten Nickerchen hin. Betont forsch erklärte ich dem restlichen Publikum die tiefsten psychologischen Geheimnisse:
„Alles Erleben und Verhalten bezieht sich nach der Theorie der Psychoanalyse stets insofern auf die Realität, als das ´Ich` zwischen den Triebansprüchen des unbewussten´Es`, den im ´Über-Ich` individuell ausgebildeten Gewissensforderungen und den augenblicklichen Gegebenheiten der Realität vermittelt usw. ... !“ (Zitat)
Stille herrschte im Saal. Das Bewusstsein des Publikums arbeitete auf Hochtouren, ließ sich dabei vom Unterbewusstsein und auch vom Über-Ich zur Seite stehen, um sich jene gewichtigen Ausführungen wirklich bewusst zu machen und sie sogar im Gedächtnis zu speichern. Die über den Köpfen sich bildenden Rauchschwaden zeugten vom intensiven Mitdenken und kurz darauf bildete ich mir ein, als Folge des nun wegen der Anstrengung unvermeidbaren Gehirnbrandes erste stiebende Funken zu sehen. Jener endlich löste die Spannung und neuerliche Bewegung unter den Zuhörern aus. Jemand sprang auf und rief:
„Ein brennend interessantes Thema!!“
Die bewusst gewollte Denkpause derjenigen, die nicht mehr gewillt gewesen waren, noch länger mitzudenken, fand ihr Ende. Sie schreckten auf und setzten fix, vom unbewussten ´Es` sehr ausdrücklich unterstützt, betont wissende Mienen auf. Klar würden sie in dieser erlauchten Gesellschaft niemals zugeben, dass nichts all von dem ihr Bewusstsein erreicht hatte. Weil ich aber wusste, dass dem so war, erklärte ich alles nochmals von vorn, diesmal bewusst im Stil für Unwissende:
„Also: Ihr ´Es` treibt Sie, auf dem Markt eine Banane zu klauen. Ihr Über-Ich meckert dagegen an. Gewissensbisse sind lästig. Genervt verdrängen Sie sie und mopsen das verführerische Obst trotzdem. Und zwar deshalb, weil Sie es einfach unbedingt haben wollen!!“
Befreites Lachen, lauter Applaus.
Gut nur, dass diese Erklärung Sigmund Freud niemals zu Ohren kommen können würde ...