Die etwas andere Realität...
Von
genesiss
Samstag 31.05.2025, 21:26
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genesiss
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Mit achtundsechzig Jahren eine Scheidung einzureichen, war keine romantische Geste oder eine Midlife-Crisis. Es war ein Eingeständnis an mich selbst, dass ich versagt hatte. Dass ich nach vierzig Jahren Ehe mit einer Frau, mit der ich nicht nur den Alltag, sondern auch Schweigen, leere Blicke beim Abendessen und all das, was unausgesprochen blieb, geteilt hatte, nicht der geworden war, der ich hätte sein sollen. Mein Name ist Heinrich, ich komme aus Kassel, und meine Geschichte begann mit Einsamkeit und endete mit einer Offenbarung, die ich nie erwartet hätte.
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Mit Gisela hatte ich fast mein ganzes Leben verbracht. Wir hatten mit zwanzig geheiratet, noch zu Zeiten der DDR. Damals, am Anfang, gab es Liebe. Küsse auf der Parkbank, lange Gespräche am Abend, gemeinsame Träume. Doch dann verschwand alles. Zuerst kamen die Kinder, dann Kredite, die Arbeit, die Müdigkeit, der Alltag… Die Gespräche wurden zu kurzen Notizen in der Küche: „Hast du die Stromrechnung bezahlt?“, „Wo ist die Quittung?“, „Das Salz ist alle.“
Wenn ich sie morgens ansah, sah ich nicht meine Ehefrau, sondern eine müde Mitbewohnerin. Und vermutlich war ich für sie nicht mehr. Wir lebten nicht miteinander – wir lebten nebeneinander. Ich, ein Mann mit starkem Willen, stolz und eigensinnig, sagte mir eines Tages: „Du hast ein Recht auf etwas Besseres. Auf eine zweite Chance. Auf frische Luft, verdammt noch mal.“ Und so reichte ich die Scheidung ein.
Gisela wehrte sich nicht. Sie setzte sich nur auf einen Stuhl, starrte aus dem Fenster und sagte:
„Gut. Mach, wie du denkst. Ich will nicht mehr kämpfen.“
Ich ging. Zuerst fühlte ich mich frei, als hätte ich einen schweren Stein von meinen Schultern geworfen. Ich schlief auf der anderen Seite des Bettes, holte mir eine Katze, trank morgens Kaffee auf dem Balkon. Doch dann kam ein anderes Gefühl – Leere. Das Haus war zu still. Das Essen schmeckte fade. Und das Leben war zu vorhersehbar.
Da kam mir eine Idee, die mir genial erschien: eine Frau zu finden, die mir helfen würde. So wie Gisela es früher tat: Wäsche waschen, kochen, putzen, ein wenig Gesellschaft. Ja, vielleicht etwas jünger, um die Fünfzig, mit Erfahrung, herzlich, bodenständig. Vielleicht eine Witwe. Meine Ansprüche waren nicht hoch. Ich dachte sogar: „Ich bin doch kein schlechter Fang – gepflegt, mit eigenem Haus, in Rente. Warum nicht?“
Ich begann zu suchen. Sprach mit Nachbarn, gab Andeutungen bei Bekannten. Schließlich wagte ich den Schritt – ich schaltete eine Anzeige in der Lokalzeitung. Kurz und bündig: „Mann, 68, sucht Frau für gemeinsames Wohnen und Hilfe im Haushalt. Gute Bedingungen, Unterkunft und Verpflegung inklusive.“
Doch genau diese Anzeige veränderte mein Leben. Denn drei Tage später erhielt ich einen Brief. Nur einen einzigen. Aber er ließ mir die Hände zittern.
„Sehr geehrter Herr Heinrich,
Glauben Sie ernsthaft, eine Frau in den 2020er-Jahren existiere nur dafür, jemandem die Socken zu waschen und Frikadellen zu braten? Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert.
Sie suchen keine Lebensgefährtin, keinen Menschen mit Seele und eigenen Wünschen, sondern lediglich eine unbezahlte Haushälterin mit romantischer Verpackung.
Vielleicht sollten Sie erst einmal lernen, für sich selbst zu sorgen, Ihr eigenes Mittagessen zu kochen und Ordnung in Ihrem Haus zu halten?
Mit freundlichen Grüßen,
Eine Frau, die keinen alten Knochen sucht, der ihr ein Staubtuch in die Hand drückt.“
Ich las den Brief fünfmal. Zuerst kochte ich vor Wut. Wie konnte sie es wagen? Wer glaubte sie, wer sie war? Ich wollte doch niemanden ausnutzen! Ich wollte einfach nur Wärme, Gemütlichkeit, eine weibliche Hand im Haus…
Doch dann begann ich nachzudenken. Hatte sie nicht recht? Vielleicht suchte ich wirklich nur eine Fortsetzung meiner Bequemlichkeit? Wollte ich tatsächlich immer noch, dass jemand kam und mein Leben angenehm machte, anstatt es selbst in die Hand zu nehmen?
Ich fing klein an. Lernte, Suppe zu kochen. Dann Auflauf. Ich abonnierte einen YouTube-Kanal namens „Hausmannskost“, kaufte mit Einkaufszettel ein, bügelte meine Hemden. Es fühlte sich seltsam an, unbeholfen, fast lächerlich. Doch mit der Zeit spürte ich – es war keine Pflicht mehr. Es war mein Leben. Meine Entscheidung.
Ich rahmte sogar den Brief und hängte ihn in der Küche auf. Eine Erinnerung an mich selbst: Suche nicht in anderen die Rettung, bevor du dich nicht selbst aus dem Loch gezogen…