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Karambol

Natürlich gab es in dieser Trinkerheilstätte kein Kaffeehaus, und auch keinen plattfüßigen Kellner. Denkbar wäre es aber gewesen, ähnelte der Freizeitraum mit seiner Wandtäfelung, den zwei Kartenspieltischen und vor allem dem Billardtisch sehr der Spielsalonecke meines ehemaligen Stammcafés in Salzburg. Sogar die zum Zeitungsregal umfunktioniere Garderobenwand glich der vom Café Sissy aufs Haar. Auch hier hingen Zeitungen auf Wandhaken wie dürre Blätter.

Karambol

Während ich in Gedanken versunken auf den Billardtisch stierte und mich weit weg in der Vergangenheit verlor, gesellte sich Hanspeter und Melanie, die Praktikantin aus Innsbruck, an meine Seite.
„Hey Ferdinand, träumst du?”, fragte Hanspeter. Melanie, die mittlerweile mit uns Männern gut zurechtkam, setzte sich auf den ledernen Fauteuil mir gegenüber und sah mir in die Augen: „Erzähl mal, Ferdinand, wie gehts dir. Ich meine, außerhalb der Arbeit, denn da bist du ja bestens angekommen.” „Danke, mir gehts gut.”
„Und du hast kein Heimweh?”
„Natürlich habe ich Heimweh. Ganz ohne kommt wohl keiner aus”, sagte ich. Ich wollte meine Ruhe. Wie sollte ich auch den beiden von diesem Film erzählen, der in meinem Kopf zu laufen begann, als ich diesen Raum betrat. Der Billardtisch setzte in mir Erinnerungen frei, die ich eigentlich vergessen wollte.
Es war in diesem Billard-Café in Salzburg. Melitta und ich spielten Karambol mit einer weißen und zwei roten Kugeln. Ich, ganz Kavalier, begann, doch schon den dritten Stoß vermasselte ich. Ich rechtfertigte mich damit, dass mir eine Haarsträhne ins Gesicht gefallen sei und mit dem Zigarettenrauch, der meine Augen verschleiert hatte. Melitta nahm mich in die Arme und küsste mich. „Wie wär’s mal mit Haareschneiden, mein Schatz, außerdem rauchst du zu viel.” Danach war es vorbei mit Streicheleinheiten. Melitta machte das Spiel. Ich kam kaum noch an den Tisch, nahezu fehlerlos zauberte sie ein unsichtbares Liniengewirr auf den grünen Filz. Jedes Mal, wenn sie sich über den Tisch beugte und die Kugeln längs des Queues anvisierte, wurde ihre Stimme leiser und ihre Stirn legte sich in Falten. Wenn sich der Ärmel ihres Shirts über das linke Handgelenk schob, zeigte sich ihr Glücksbringer, dieses Bändchen aus bunten Wollfäden. Als Melitta ein letzter Zweibänder zum Sieg fehlte und sie sich konzentriert über den Tisch beugte, trat ich hinter sie und ließ mich mit dem Oberkörper auf ihren sinken, behutsam, ganz leicht nur. Ich spürte, dass sie das spürte. Dann glitt ich mit den Händen unter ihr Shirt, küsste sie hinters Ohr und schließlich einigten wir uns auf ein Remis. Mein Gott, wie ich sie liebte.
Und das soll ich einer Therapeutin erzählen? Niemals!

Während ich an dem kleinen Gartentisch vor dem Haus saß und mein Dessert aß, dachte ich darüber nach, warum Filou, der Hauskater, immer nur abends bei mir vorbeischaute. Am Tag, als ich mit dem Stallbau für die zwei kleinen Hängebauch-Schweinchen namens Guido und Ursula begonnen hatte (ich hatte sie schamlos nach unserem Chef und seiner Frau benannt), war Filou, neugierig wie Katzen nun mal sind, auf den Unterstand gesprungen und hatte gemaunzt. Dann stibitzte er die Kirsche von meiner Nachspeise und war sogleich verschwunden. Jeden Abend kam er wieder, die ganze Zeit hindurch, verlässlich wie ein Uhrwerk.
*
Über das verwaiste Vögelchen, das unsere Tessiner Küchenchefin Paola im Pavillon neben der Bocciabahn groß zog und Joanna nannte, dachte ich auch nach. Würde es jemals fliegen lernen? Warum sollte es, überlegte ich. Hier bekam das Vögelchen alles, was es brauchte. Paola hatte ihm in einer Pappschachtel ein Nest bereitet, fütterte es mit Haferbrei und Mehlwürmern und quatschte den lieben langen Tag zu ihm, als wäre es ein Menschenkind. Das war weit mehr, als den meisten Lebewesen auf dieser gnadenlosen Welt vergönnt war. Wusste Joanna überhaupt, dass sie fliegen könnte, wenn sie nur wollte? Dachte sie darüber nach, wie groß der Himmel war und wie endlos weit?
Beinahe unbemerkt hatte es zu regnen begonnen. Ganz sanft nur. Aber die Gerüche veränderten sich. Die Erde im Gemüsegarten, die Grasbüschel zwischen den Steinplatten am Weg und die blühenden Petunien hinter mir, alles schien jetzt einen intensiveren Duft zu verströmen. Ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, in einer warmen Sommernacht am Strand zu sitzen und das Meer zu riechen. Ich glaubte, das Zirpen der Zikaden zu hören. Ein fremdartiger Vogelruf ertönte. Möglicherweise, dachte ich, muss man erst ein gewisses Alter erreicht haben, um solche Dinge wahrzunehmen. Die Vorstellung, nicht einen Traum, sondern mein wirkliches Leben zu erleben, gefiel mir. Ich ließ mich auch nicht durch das Schnattern der Gänse neben dem Damhirsch-Gehege stören. Ich nahm mein Notizbuch aus der Tasche und versuchte, meine Empfindungen aufzuschreiben, bevor ich sie vergaß.

Karambol

Paola brachte mir noch ein Glas Holundersaft. Sie sei spät dran, sie müsse sehen, dass sie nach Hause käme. Aber dann blieb sie doch ein Weilchen bei mir und fragte, was ich da schriebe. Ich sagte ihr, ich schriebe eine Story für unsere geplante Hauszeitung und grinste sie an, so verwegen, wie es mir nur möglich war, so tiefgründig, wie ich mir vorstellte, dass Hemingway gegrinst hätte, wäre er statt mir hier gesessen und Paola hätte ihn gefragt, was er schriebe. Dabei hatte ich ein wenig geflunkert, denn in Wahrheit gab es diese Hauszeitung nur in meinem Kopf. Ein Hirngespinst das langsam zum Plan reifte.
Paola war eine attraktive Frau mit schwarzem Haar, heller Haut und verklärtem, melancholischem Blick. „Bist du etwa ein Dichter?“, fragte sie.
„Nein“, sagte ich, „nur ein Mann, der aufschreibt was er denkt.“
Sie lachte. Ich fragte sie, ob sie eine Zigarette mit mir rauchen wolle.
„Ja, gerne”, sagte sie, nahm ihre Schürze ab und setzte sich zu mir. „Mein Mann wird mir schon nicht davonlaufen.“

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