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Im Garten vom alten Pfarrhaus

Irgendwann in frühen Kinderjahren brachte mich Mutter für eine Woche zu Tante Lore, die in einem alten Pfarrhaus wohnte. Zu diesem alten Haus gehörte ein ebenso alter und wunderschöner Garten.

Gartenhaus

Soeben bei der Tante angekommen, zog es mich durch die offene Küchentür direkt hinaus in diesen Garten. Ich blieb stehen und konnte nur staunen, hatte ich doch so etwas Schönes noch nie gesehen. Ich hörte das Summen der vielen Insekten, sah die Farbenpracht der Blumen und schnupperte den mir völlig unbekannten Duft der vielen Küchenkräuter.

Und schon am nächsten Morgen entdeckte ich den Sandhaufen an der Hauswand, wo ich nun mit allerlei Töpfchen und Löffeln aus Tante Lores Küche lange Reihen von Sandkuchen backen konnte. Zwischendurch warf ich einen Blick auf die Hühner, die in ihrem Gehege nebenan scharrten und leise gackerten. Im Laufe der nächsten Tage wurden sie immer mehr zu meinen Freunden.

Die Laube am Ende des Gartens verschwand fast in Himbeersträuchern. Dort stand ein alter abgenutzter Sessel aus Korbgeflecht mit einem ausgefransten Kissen, in der Ecke ein paar verrostete Gartengeräte und ein Vogelbauer, in dem vor langer Zeit ein Kanarienvogel gesungen haben mochte. Neben der Laube, auf dem Kompost, wucherten Kapuzinerkresse und Studentenblumen um die Wette, und an der Hecke gegenüber blühte eine große, weiße Hortensie. Fast jeden Tag genoss ich es, für eine Weile in dem knarrenden Korbsessel zu sitzen und vor mich hin zu träumen.

An einem Morgen half ich der Tante beim Bohnenernten. Als der Korb fast voll war und ich mich danach bückte, entdeckte ich am Boden kleine bräunliche Tierchen, die in langer Reihe emsig in eine Richtung liefen. Eines von ihnen trug sogar etwas Weißes vor sich her.„Guck mal, wie schnell die laufen können“, jauchzte ich. Doch die Tante war schon wieder beim Bohnenpflücken und hörte nicht.

Doch am letzten Tag meines Aufenthalts geschah etwas, das mich zutiefst schockierte und mich bittere Tränen weinen ließ:

Ich musste zusehen, wie die Tante eines meiner gackernden Freunde einfing, es am Hals packte und in den Hof schleppte. Dort schwang sie das Huhn mehrmals durch die Luft, legte es auf den Holzklotz und hackte ihm den Kopf ab. Dabei spritzte das Blut auf ihre Schürze, aber das Huhn flog quer über den Hof – ohne Kopf – und prallte gegen die Wand.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, es habe sich im letzten Moment befreit und sei davon geflogen. Und doch werde ich die herrlichen Tage mit ihren Farben und Düften nie vergessen und bin mir sicher, dass dort meine Liebe zu den Schönheiten der Natur ihren Anfang nahm.

Autor: fleurbleue

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