30 Jahre Fall Berliner Mauer - Feierabend-Mitglieder berichten
Vor 5 Jahren haben wir (zum 25. Jubiläum) Feierabend-Mitglieder gebeten, uns an ihren Erinnerungen teilhaben zu lassen. An dieser Stelle möchten wir drei Berichte nochmal besonders hervorheben. Wir bedanken uns bei allen Teilnehmern, die uns zu diesem sensiblen Thema geschrieben haben.
Heute Nacht ist die Mauer in Berlin geöffnet worden. Am 10. November 1989 wurde ich mit dieser Nachricht vom Radiowecker geweckt. Ich sprang aus dem Bett und vor den Fernseher, dort liefen die bewegenden Bilder von der Trabi- Kolonne über den geöffneten Grenzübergang. Wildfremde Menschen aus Ost- und Westberlin lagen sich in den Armen und weinten Freudentränen. Auch mir standen die Tränen in den Augen. Jahrzehnte hatten wir Pakete in die DDR an Verwandte geschickt und sie noch im August 1989 besucht. Bei der Abreise - DDR-Bürger hatten die Prager Botschaft bereits in Besitz genommen - sagten wir uns zum Abschied: "Zu Weihnachten sehen wir uns im Sauerland." Geglaubt hat es zu dem Zeitpunkt weder die Ostverwandtschaft noch wir. Aber zu Weihnachten war es dann Wirklichkeit geworden.
GerdisDies war mein 49. Geburtstag: der 9. November 1989. Wir saßen zusammen beim Abendessen als das Telefon läutete. Mein jetziger Schwiegersohn Wolfgang, war am Apparat. Ich dachte, er wollte mir gratulieren und mit meiner Tochter sprechen. Er wirkte aufgeregt, sagte: "Schaltet schnell den Fernseher ein, die Mauer ist auf!" Ich konnte das gar nicht so richtig begreifen. Also schaltete ich den Apparat ein und was wir dann sahen, ließ uns den Geburtstag vergessen. Wir saßen alle vor dem Apparat, die Tränen standen uns in den Augen. Es war ein unglaublicher, unvergessener Augenblick. Wir sahen die Leute durch das Brandenburger Tor drängen nach dem Westen, die Westler hatten Sekt in den Händen, es wurde sich umarmt. Es war eine befreiende Stimmung. Trabis fuhren durch das Tor. Auch wir umarmten uns alle. Diesen Abend werde ich nie vergessen.
Buchnesia"Für uns gab es keine Alternative!" 1961: Wir hatten unsere Reise nach Wien, die eigentlich dem Besuch einer Tante meines Mannes galt, als (verspätete) Hochzeitsreise beantragt. Das war zwar nahezu aussichtslos, aber wir versuchten es einfach, denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Es verging Monat um Monat, ehe eines Tages der Bescheid kam: Die Reise war genehmigt! Wir konnten unser Glück nicht fassen, auch wenn uns klar war, warum man uns reisen ließ: Wir ließen ja unseren 16 Monate alten Sohn bei meinen Eltern, sozusagen als Faustpfand. 10 Tage waren beantragt und genehmigt. Die Reise musste allerdings über die CSR gehen, eine Fahrt durch die BRD war ausgeschlossen. Wir bekamen einige wenige tschechische Kronen und noch weniger Schilling umgetauscht, mussten in Prag umsteigen, durch die Stadt zu einem anderen Bahnhof fahren, in Breclaw, an der Grenze zu Österreich, hatten wir stundenlang Aufenthalt und kamen nach 18 Std. völlig erschöpft in Wien an. Doch die liebevolle Aufnahme bei der Tante meines Mannes, die uns in den nächsten Tagen alles Sehenswerte in Wien zeigte, entschädigte uns bald für alle Strapazen. Eines Morgens lief ich zum Bäcker und kam dabei an einem Zeitungskiosk vorbei, wo mir die Schlagzeilen ins Auge sprangen: Stacheldraht in Berlin, Grenze wird geschlossen…. Ich hielt das Ganze für eine Zeitungsente und als ich mit den frischen Brötchen zurückkam, sagte ich zu Tante Trudl: „Also weißt du, eure Zeitungen brauchen wohl eine Meldung fürs Sommerloch! So einen Quatsch zu schreiben!“ und erzählte von den Schlagzeilen. Sie schaute mich Stirn runzelnd an, dann ging sie wortlos zum Radio und schaltete es ein. Schon nach wenigen Sätzen des Nachrichtensprechers lief es uns kalt den Rücken herunter: Es war der 13. August 1961 und die Schlagzeilen entsprachen der Wahrheit! Die folgenden drei Tage waren ein Albtraum, meine Eltern riefen an, rieten uns, nicht zurück zu kommen, sie wollten unseren Sohn behalten. Alle Bekannten der Tante redeten auf uns ein, wir sollten doch in Wien bleiben. Aber da unser Sohn in Leipzig war, gab es für uns keine Alternative, nie hätten wir ohne ihn leben wollen und so fuhren wir zurück, nicht wissend, dass es 28 Jahre dauern würde, bis wir wieder frei sein würden, um frei zu entscheiden, wohin wir reisen, was wir lesen, mit wem wir telefonieren, frei zu schreiben, frei zu reden, ohne befürchten zu müssen, dass der Gegenüber ein Stasispitzel ist. Frei, Briefe zu verschicken, ohne befürchten zu müssen, dass sie geöffnet werden. Übrigens befinden sich in unserer Stasiakte u. a. Kopien von Briefen, die mein Mann an seine Tanten in Nürnberg und Stuttgart geschrieben hat, auch eine Notiz darüber, dass ich an Dieter Hildebrandt schrieb. Mein Mann wurde seit 1963 bespitzelt und damit die ganze Familie. Es war ein unheimliches Gefühl, als der Zug die Grenze zur DDR überfuhr, so ungefähr, als wenn ein Häftling nach einem Hafturlaub wieder seine Zelle betritt. Ich werde es nie vergessen! Und ebenso wenig die mindestens 138 Maueropfer.
RittersporninArtikel Teilen
Artikel kommentieren